Mumia Abu-Jamal * junge Welt Nr. 197 - 23./24. August 2008
Wer die gegenwärtige US-Außenpolitik genauer unter die Lupe nimmt, muß feststellen, daß sie mehr von Willkür und Wunschdenken bestimmt wird als von Vernunft. Das liegt daran, daß die kapitalistischen Marktgesetze letztlich das beherrschende Charakteristikum der Politik des Zweiparteiensystems der USA sind. Der Markt kauft Politiker en gros ein, und wenn sie clever genug sind, ein wichtiges Amt zu übernehmen, dann dienen sie fortan uneingeschränkt den Interessen der Konzerne und nicht denen ihrer Wähler.
In Raj Patels großartigem neuen Buch »Stuffed & Starved: The Hidden Battle for the World Food System« (etwa: »Überfressen & verhungert: Der verdeckte Kampf um das Welternährungssystem«), das in diesem Jahr in Brooklyn, New York, erschienen ist, finden wir ein vielsagendes Zitat von Robert S. Strauss. Strauss war von 1972–77 Vorsitzender des Democratic National Committee (DNC), der nationalen Organisation der Demokratischen Partei. Das DNC ist zuständig für die Darstellung der politischen Positionen der Gesamtpartei und steht direkt dem US-Präsidenten zur Seite, wenn die Partei ihn stellt. In seiner herausragenden Position beschrieb Strauss seine Beziehung zu Archer Daniels Midland (ADM), einem Giganten der Agrarindustrie. Mit Bezug auf den früheren Vorstandsvorsitzenden des Konzerns erklärte Strauss: »Ich gehöre halt Dwayne Andreas. Und ich meine das durchaus freundlich.«
Wer sich in der Hauptstadt Washington D. C. umsieht, wird zweifelsohne Hunderte Männer und Frauen finden, die etwas Ähnliches wie Strauss sagen könnten, wenn man ADM durch Lockheed-Martin, Northrop Grumman, Occidental Petroleum, Exxon Mobil, Halliburton und unendlich viele andere Namen ersetzen würde. Und genau um der Interessen dieser Konzerne willen wird die Außenpolitik der USA so gemacht, wie sie gemacht wird. Diese Politik hat noch nie etwas mit Demokratie zu tun gehabt. Oder gar mit Freiheit. Nichts dergleichen. Es ging immer nur um die Frage, was gut ist fürs Geschäft. Das mag eine unbequeme Erkenntnis sein, aber es ist die Wahrheit.
Der Irak-Krieg entsprang einzig und allein den Wunschträumen der Energiekonzerne; die Mehrheit der Bevölkerung war dagegen. Das hatte es wie seit Generationen nicht mehr gegeben. Aber auf wen hörten die Politiker – auf die demokratische Mehrheit oder auf die Konzerne? Die Folgen zeigten sich während der letzten Reise des noch amtierenden Präsidenten George W. Bush in den Nahen und Mittleren Osten. Libanons Ministerpräsident Fuad Siniora fand keine Zeit zum Gespräch mit George W. Bush, weil er ein wichtigeres Treffen vorzog – mit Führern der Hisbollah. Nur wenige Wochen danach räumte Siniora der Hisbollah eine stärkere Beteiligung an politischen Entscheidungsprozessen des Landes ein.
Das ist nur ein Ausdruck des sinkenden Ansehens der US-Außenpolitik in der Welt. Aber es gibt weitere Indikatoren dafür. Nahezu jedes gewählte politische Gremium in Pakistan hat sich unlängst für die Amtsenthebung des an die Macht geputschten Präsidenten und Alliierten der USA, Pervez Musharraf, ausgesprochen. Der Diktator hatte die Opposition und viele Rechtsanwälte einsperren lassen und Oberste Richter des Landes aus ihren Ämtern gejagt, weil sie nicht zu seinen Gunsten urteilten. Wem hat die US-Regierung den Rücken gestärkt – den Diktator oder die demokratische Mehrheit des Landes? Gleich nebenan in Afghanistan unterstützt Washington ein System, das man als »Narcocracy« bezeichnen könnte, einen Staat, in dem die Drogenbarone das Sagen haben.
Die bevorzugten Alliierten der USA waren und sind Militärdiktaturen, die mit Gewalt und Terror gegen die demokratischen Willensbildungsprozesse der eigenen Bevölkerung vorgehen. Das letzte Jahrhundert der Geschichte Lateinamerikas ist Beweis genug dafür. Eine solche Außenpolitik kann nur als imperial bezeichnet werden. Sie ist einzig und allein geeignet, sich ein paar isolierte »Freunde« zu machen, und gleichzeitig Millionen neue Feinde gegen sich aufzubringen.
Übersetzung: Jürgen Heiser