Kolumne 2.08.08: Dr. Evil und James Bond

02.08.08 (von maj) Die US-Immobilienblase – und warum in Medien nichts über deren Verursacher zu lesen ist

Mumia Abu-Jamal * junge Welt Nr. 179 - 2./3. August 2008

Wenn es heutzutage in den USA eine alle Lebensbereiche der Gesellschaft durchdringende Ideologie gibt, dann ist es die allgegenwärtige Propaganda vom »freien Markt«, auf dem alles geht. Im Fernsehen zerschreddern zu Stars hochgespielte Figuren noch das letzte Feigenblatt der Privatheit und zeigen alles, was sich als vermeintliche »Reality« verkaufen läßt. Tag für Tag führen sich diese Leute im Reich der Unterhaltungsindustrie derart peinlich auf, daß einem dafür bestenfalls noch die Qualifizierung »Selbsterniedrigung gegen Dollars« einfällt. Auch Politiker und Journalisten sind buchstäblich käuflich und verschachern sich an den meistbietenden Konzern.
Auf diese Weise werden politische Ergüsse und Nachrichten zur Ware in einer Multimilliarden-Industrie. Überdies versorgen sich deren verschiedene Sparten gegenseitig mit Futter, indem beispielsweise Politiker Millionen Dollars für Werbekampagnen ausgeben und Fernseh- und Kabelsender dicke Gewinne einstreichen, indem sie ihre Sendezeiten gegen schwindelerregende Summen verkaufen. Währenddessen wird der Alltag – Ausgaben für Lebensmittel, Benzin, Wohnen und Bildung – immer teurer. Für die Masse der Bevölkerung. Für die Chefsprecher der Fernseh- oder Radiosender, die in den USA millionenschwere Jahresgehälter einfahren, sind diese Themen eindeutig nicht von Belang. Ihr Job ist es, den Status quo zu schützen.
Das alles zusammen ergibt die politische Kultur, mit der wir gegenwärtig konfrontiert sind. Sofern politische Debatten stattfinden, müssen sie nur eine Bedingung erfüllen: Ihre Teilnehmer dürfen weder Wall Street noch den übrigen Eliten des kapitalistischen Marktes am Zeug flicken. Wann konnte man zuletzt in den Medien etwas über die Immobilienblase lesen oder sehen, das die jahrelange »Subprime«-Kreditvergabepolitik der Banken und Kredithaie als Verbrechen gebrandmarkt hätte? Als ein vorsätzlich begangenes Verbrechen, das Millionen Menschen um ihren relativen Wohlstand gebracht und Existenzen vernichtet hat? Nirgendwo. Das Thema wird als reine Nachricht abgehandelt, die staatstragenden Medien bringen darüber keine Hintergrundberichte oder Analysen. Die Nachrichtensprecher leiern ihre vorgeschriebenen Texte herunter, als ginge es um altbackene Brötchen vom Vortag.
Warum das so ist? Weil von dieser Entwicklung vornehmlich Schwarze und Latinos betroffen sind. Das macht keine Schlagzeilen, obwohl es sich um den größten Verlust an Vermögen und Besitz der schwarzen Bevölkerung in der US-Geschichte handelt. Nach Berechnungen der Gruppe United for a Fair Economy (Vereint für eine faire Ökonomie) haben die Betroffenen insgesamt zwischen 164 und 213 Milliar­den US-Dollar verloren. Wenn das Ganze nicht so tragisch wäre, könnte man sich an die Figur des Dr. Evil in den Austin-Danger-Powers-Filmen erinnern, einer Parodie auf James Bond und seine notorisch bösartigen Gegenspieler. Auch Dr. Evil versucht immer wieder, die Weltherrschaft an sich zu reißen, und er hätte angesichts der beschriebenen Krise nur angemerkt: »Ach kommen Sie, es geht doch nur um läppische 213 Milliarden Dollar!«.
Aber die geplatzte Immobilienblase ist kein Witz, keine Parodie. Sie ist die fatale Wirklichkeit. Sie ist die Wurzel der gegenwärtigen Welle von Zwangsvollstreckungen, die das durch öffentliche Mittel finanziell abgesicherte Hypothekensystem und seine beiden tragenden Säulen, die Federal National Mortgage Association und die Federal Home Loan Mortgage Corporation, an den Rand des Bankrotts gebracht hat.
Und wie reagiert die amtierende US-Regierung auf diese Krise? Sie hat lebensrettende Maßnahmen für diese beiden Finanzagenturen und durch sie für die ins Trudeln geratenen Banken und Kreditmakler ergriffen, zeigt aber den von dieser Schwindelwirtschaft in Armut und Obdachlosigkeit gestürzten Opfern die kalte Schulter. Was uns vorgeführt wird, ist die perverse Logik des Marktes, oder, mit einem anderen Wort ausgedrückt, »Geschäftssinn«. Danach ist alles erlaubt, um an das Geld anderer Leute zu kommen. Und wenn was schiefgeht, keine Panik, denn die Propagandisten des angeblich »freien Marktes« in der Regierung werden euch schon wieder heraushauen – vorausgesetzt, ihr gehört zu den Großen der Gesellschaft.

Übersetzung: Jürgen Heiser


Ausdruck von: http://freedom-now.de/news/artikel434.html
Stand: 28.03.2024 um 15:18:22 Uhr