Kolumne 26.07.08: Obama und Napoleon

26.07.08 (von maj) Französischer als die Franzosen oder: Vom Preis, den Außenseiter zahlen müssen, um in einer ihnen feindlich gesinnten Umwelt anzukommen

Mumia Abu-Jamal * junge Welt Nr. 173 - 26./27. Juli 2008

Es sollte niemanden überraschen, daß die Kandidatur von Senator Barack Obama aus Illinois als Präsidentschaftsbewerber der Demokratischen Partei ein so großes Interesse ausgelöst hat. Nicht zuletzt hat sein Status als Außenseiter, dessen Wurzeln durch seinen kenianischen Vater zur Hälfte in Afrika liegen, zu einem beträchtlichen Teil für die Faszination gesorgt, die er sowohl auf Schwarze als auch auf Weiße ausübt.
Wie so oft in den USA ist es auch in seinem Fall so, daß die Hautfarbe ebensoviel verdeckt wie sie offenbart. Barack Obama ist ihretwegen ein Außenseiter in der offiziellen US-Politik und nicht minder auch in bezug auf das schwarze Amerika. Er ist zwar ostafrikanischer Herkunft, doch haben weder die 500jährige Sklaverei noch Widerstand und Rebellion, die den Kern der afroamerikanischen Erfahrung und Identität ausmachen, Obamas Denken und Sein beeinflußt. Es ist genau diese Außenseiterstellung Obamas, die es so vielen von uns, egal ob schwarz oder weiß, erlaubt, das auf ihn zu projizieren, was wir selbst mit den in seiner Kampagne hochgespielten Begriffen »Hoffnung« und »Veränderung« verbinden. Barack Obama ist in zwei Welten zu Hause und muß selbst herausfinden, was es heißt, Schwarzer in den USA zu sein.
Sein besonderer Außenseiterstatus erinnert an den Lebensweg eines anderen großen Außenseiters der Geschichte, der auf der Höhe seines Ruhmes zu einem vollendeten »Insider« wurde: Napoleon Bonaparte. Dieser Mann wurde 1769 auf der Insel Korsika geboren, wo zur damaligen Zeit Korsisch noch die offizielle Sprache war. Erst mit der Einführung der Schulpflicht durch die französische Zentralregierung wurde Korsisch 1882 als Unterrichtssprache verboten. Bereits mit dreißig Jahren erhielt Napoleon den Titel Erster Konsul der Französischen Republik und schwang sich zum Kaiser Frankreichs auf. In nur fünf Jahren wurde er zum Imperator – und damit Diktator –eines ungeheuer großen Reiches.
Natürlich geht es jetzt nicht darum, Obama als Diktator in spe zu verleumden. Es geht vielmehr darum, aufzuzeigen, wie ein Außenseiter, der über einen stark ausgeprägten Ehrgeiz verfügt, zu einem absolut loyalen Vertreter eines Gesellschaftssystems werden kann. Als Napoleon in sehr jungen Jahren eine Kadettenschule in Frankreich besuchte, machten sich seine Kameraden lustig über ihn. Aber nicht etwa wegen seiner Körpergröße, wie man annehmen könnte, sondern wegen seines korsischen Akzentes, der ihn als Außenseiter brandmarkte. Aber das spornte den talentierten und aufstrebenen Offiziersanwärter gerade an, französischer als die Franzosen zu werden.
Als der Junge Barack mit seinen Eltern in Indonesien lebte, neckten ihn seine Altersgenossen wegen seines andersartigen Haares und wegen seiner dunkleren Hautfarbe. Auch ihm wurde schon früh klargemacht, daß er ein Außenseiter war. Was das für einen jungen Menschen bedeutet, der unter solchen Bedingungen seinen Charakter ausprägt, hat Sigmund Freud detailliert herausgearbeitet; wir können es hier nur erahnen.
Wenn Obama heute, da er die US-Vorwahlen gut überstanden hat, öffentlich spricht, vertritt er einen patriotischen Nationalismus, den er aus einer Darstellung der US-amerikanischen Geschichte entwickelt, wie sie nie wirklich existiert hat. In diesem Zusammenhang hat er sich von einem Mann distanziert, den er einst gut kannte, den er sogar bewunderte und respektierte. Gemeint ist Reverend Dr. Jeremiah Wright, der mit seinen offenen Worten über die häßliche Seite der wahren Geschichte der USA – Rassismus, Unterdrückung und Krieg im In- und Ausland – den Weißen einen Spiegel vorgehalten hat. Das hat denen natürlich nicht gefallen. Ist Obamas Lossagung von Wright, den er einst als Vorbild angesehen hat, der notwendige Schritt, den er tun muß für seine Teilhabe am üblen Spiel der »großen Politik«? Ist sein Patriotismus die notwendige Begleiterscheinung auf dem Weg eines Außenseiters, der dabei ist, amerikanischer als alle US-Amerikaner zu werden?

Übersetzung: Jürgen Heiser


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Stand: 23.11.2024 um 14:24:08 Uhr