Mumia Abu-Jamal * junge Welt Nr. 143 - 21./22. Juni 2008
Der Benzinpreis schnellt beständig in die Höhe, und die Bürger der USA sind gezwungen, über existentielle Aspekte ihres Lebens nachzudenken wie noch nie in der neueren Geschichte des Landes: Fahren oder nicht fahren –das ist hier die Frage. Werden mehr und mehr Menschen die Konsequenzen ziehen, ihr Auto stehenlassen und auf den öffentlichen Nahverkehr umsteigen? Werden die Fahrer der großen Spritfresser – besser bekannt als Special Utility Vehicle (SUV) oder schlicht Geländewagen – auf kleinere Importwagen umsteigen?
In der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts war das Autofahren in den USA als ein garantiertes Grundrecht angesehen worden, geheiligter noch als die Freiheit der Presse. Die Freiheit des Autofahrers, abgesichert durch spottbilliges Benzin, war Teil der nationalen Psyche der USA. In dem Maße, wie die Benzinpreissteigerungen nun fast täglich Rekorde brechen, verflüchtigen sich diese Standards in die Sphären der Erinnerung an »die guten alten Zeiten«.
Im Gegensatz zu den Worthülsen aus dem Weißen Haus, vom Capitol Hill und aus den Wahlkampfbüros zeigt sich jetzt die nüchterne Wahrheit, daß US-Politiker an dieser Entwicklung kaum etwas ändern können. Das liegt vor allem daran, daß das Erdöl ein internationaler Rohstoff ist, eingebunden in die globale Ökonomie und weltweite politische Machtstrukturen, auf die die USA nur begrenzten Einfluß haben. Zusätzlich hat der Irak-Krieg Spannungen erzeugt, die die ganze Region des Nahen und Mittleren Ostens destabilisiert haben. In dieser Situation kann schon ein Gerücht die Ölpreise in die Höhe schnellen lassen.
2003, bevor die ersten Bomben auf Bagdad fielen, kostete ein Barrel Öl knapp 35 US-Dollar. Jetzt liegt der Preis bei über 135 US-Dollar pro Barrel. Neben dem Krieg gibt es einen weiteren Grund dafür: Das Erdöl ist heute nicht nur als fossiler Brennstoff von Bedeutung, sondern auch als finanzielles Spekulationsobjekt, ähnlich wie Rentenwerte, Immobilien und Gold. Solange es Gewinne abwirft, wird es weiter Spekulanten anziehen, die heute schon mit Ölmengen der Zukunft handeln, die noch gar nicht gefördert sind. Weil es keine wirksamen Mechanismen zur Marktregulierung gibt, sorgen die Spekulanten dafür, daß der Preis so lange steigt, wie es die Kräfte am Markt mitmachen. Das ist in Reinkultur der »freie Markt«, wie er uns von den neoliberalen Heilsbringern immer wieder gepredigt wird.
Daniel Yergin von den Cambridge Energy Research Associates, aufmerksamer Beobachter wirtschaftlicher Entwicklungen, hat dazu erklärt (New York Times, 11.5.2008): »Die Leute machen ihre Termingeschäfte gegen den fallenden Dollar und kaufen Öl, und das treibt den Preis hoch. Deswegen wäre es jetzt am wichtigsten, daß sich der Dollar wieder erholt. Aber das ist nicht über die Gesetzgebung zu regeln.« Andere Wirtschaftsexperten sagen, daß der Rohstoffpreis ohne Spekulation heute bei 54 US-Dollar pro Barrel läge und nicht bei 135.
Wem also beim nächsten Anfahren einer Tankstelle angesichts der letzten Preissteigerungsrekorde die Kinnlade herunterfällt, sollte sich klarmachen, woran es wirklich liegt. Für die aktuellen Höchstpreise ist das Zwillingspaar aus Irak-Krieg einerseits und Deregulierungspolitik der neoliberalen Regierungen andererseits verantwortlich. Wer glaubt, daß die politischen Eliten daran etwas ändern werden, der träumt in Farbe. Das zeigt eine aktuelle Abstimmung des US-Senats, bei der es um die Verabschiedung eines Gesetzes zur stärkeren Besteuerung unerwarteter Gewinne von Ölkonzernen ging. Das Gesetz wurde mit Mehrheit abgelehnt. Die Ölmultis jubeln: Exxon hat allein in den letzten Quartalen höhere Profite gemacht als jeder andere Konzern in der US-Wirtschaftsgeschichte. Warum sollten Politiker, die selbst Millionen aus diesen Geschäften abschöpfen, ihrer goldenen Gans den Hals umdrehen?
Deshalb die Empfehlung an alle Autofahrer: Schimpft auf den Typen, der euch gerade beim Überholen geschnitten oder euch den Parkplatz vor der Nase weggeschnappt hat. Seid wütend auf die fünf Jungen in der alten Karre, die den Baß ihrer Power-Anlage so laut aufgedreht haben, daß der ganze Highway bebt. Seid wütend auf alle, nur nicht auf die, die wirklich für die unerträgliche Misere verantwortlich sind.
Übersetzung: Jürgen Heiser