Mumia Abu-Jamal * junge Welt Nr. 120 - 24./25. Mai 2008
Während sich die USA im Wahlkampftaumel befinden, erschöpft von den Strapazen des Krieges, wie benommen von den falschen Versprechen der Politiker und ängstlich auf die drohenden ökonomischen Monster starrend, die sich am Horizont zeigen, ist die politische Rolle des US-Kongresses so unbedeutend wie selten zuvor.
Im Kontrast dazu sei an eine Debatte im britischen Unterhaus am 25. März 2008 erinnert, an deren Ende darüber abgestimmt wurde, ob es eine offizielle Untersuchung über die Gründe für den Eintritt in den Irak-Krieg geben soll. Es überrascht nicht, daß die Befürworter eines Untersuchungsausschusses die Abstimmung verloren. Die meisten Mitglieder der regierenden Labour-Partei stimmten mit Nein, um ihre Partei vor einer Untersuchung zu schützen, die thematisiert hätte, wie sehr Labour den Krieg gewollt und unterstützt hatte. Aber nicht alle Labour-Abgeordneten waren dagegen. Einige Hinterbänkler sprengten die geschlossenen Reihen der Partei und begründeten ihr Ja für den parlamentarischen Untersuchungsausschuß mit einer Klarheit, die man diesseits des Atlantik kaum zu hören bekommt. Allerdings hätte man sich die Debatte über die Kriegsgründe vor dem Krieg gewünscht und nicht erst hinterher.
Robert Marshall-Andrews, Labour-Abgeordneter aus Medway, hatte einen Aktenvermerk aus Downing Street No. 10, dem offiziellen Amtssitz des Premierministers, in die Parlamentsdebatte eingeführt, der unbequeme Wahrheiten über den drohenden Krieg enthielt: »Zunächst eine Aktennotiz vom Juli 2002 aus Downing Street, veröffentlicht von The Sunday (London). Dort wurde festgehalten, daß bei einem Treffen in Downing Street im Juli 2002 Sir Richard Dearlove, auch bekannt als ›C‹, höchster Chef des Geheimdienstes, dem Kriegskabinett folgende Nachricht aus den USA mitgebracht hatte: ›Es gab dort eine spürbare Verschiebung hin zu einer positiven Haltung zum Krieg. Für militärische Aktionen, gerechtfertigt durch die Verknüpfung von Terrorismus mit Massenvernichtungswaffen. Die nachrichtendienstliche Lage und die Fakten waren eng an die Vorgaben der Politik gebunden.«
Nach Aussage des damaligen britischen Außenministers Jack Straw »war Bush zum militärischen Vorgehen entschlossen. ... Aber er bewegte sich auf dünnem Eis.« Letztlich hat das natürlich keine Bedeutung gehabt. Wozu braucht man Beweise, wenn man sie selbst basteln kann? Der Abgeordnete sprach dann Worte aus, wie man sie wohl niemals im US-Kongreß zu hören bekommen wird:
»Es geht in dieser Debatte und in jeder Untersuchung, die wir möglicherweise beschließen werden, nicht nur darum, daß wir etwas lernen, damit wir die Fehler nicht wiederholen. Das ist sicher auch ein Grund, aber ich möchte vor allem, daß der Irak-Krieg untersucht wird, weil ich will, daß die Verantwortlichen zur Rechenschaft gezogen und vor Gericht gestellt werden. Falls nötig, sollte man sie vor internationale Gerichte stellen, aber wir sollten diejenigen sein, die sie dorthin bringen.«
An diesem Punkt schaltete sich Humphrey Malins, Abgeordneter der Konservativen aus Woking, in die Debatte ein: »Ich unterstütze die Argumentation des ehrenwerten Gentleman voll und ganz, aber darf ich ihn vielleicht daran erinnern, daß einige Abgeordnete der Opposition zum damaligen Zeitpunkt eben jene Argumente vorgetragen haben, die er gerade angeführt hat? Ich war einer von denen, die damals als Mitglieder des Schattenkabinetts wegen des unrechtmäßigen Krieges zurücktraten. Würde er mir zustimmen, daß, wenn wir zurückschauen auf unser parlamentarisches Leben, wir die Entscheidung, gegen Irak in den Krieg zu ziehen, als die schlimmste und furchtbarste Entscheidung dieses Parlaments ansehen müssen?«
Der Labour-Abgeordnete Marshall-Andrews stimmte bewegt zu und ergänzte: »In der Tat verblassen sowohl all unsere Erfolge als auch unsere Unzulänglichkeiten vor dem Hintergrund dieser Entscheidung und verschwinden in der Bedeutungslosigkeit. Die Entwicklung der Verhältnisse und die Rückwirkungen haben sich seit dem Irak-Krieg beschleunigt. Wie Tacitus einst sagte, kann ein Sieg tausend neue Feinde gegen uns aufbringen, und genau das ist nun eingetreten.«
Das waren nur ein paar Stimmen aus dem Parlament des Juniorpartners der USA im Irak-Debakel. Wann wird es endlich eine solche Debatte im US-Kongreß geben – 2025?
Übersetzung: Jürgen Heiser