»Ich kämpfe weiter gegen das ungerechte Urteil gegen mich. Vielleicht gelingt es uns ja, einige der gefährlichen Mythen zu zerstören, die unserem Denken übergestülpt worden sind - zum Beispiel der Mythos vom ›Recht‹ auf ein nicht befangenes und unparteiisches Geschworenengericht mit Geschworenen ›aus unserer Mitte‹, der Mythos vom ›Recht‹, sich selbst zu verteidigen, oder gar der Mythos vom ›Recht‹ auf einen fairen Prozeß. All dies sind nämlich nicht wirkliche Rechte, sondern Privilegien der Mächtigen und der Reichen. Für die Schwachen und Armen sind sie Seifenblasen, die zerplatzen, sobald man nach ihnen greift und sie als etwas Reales, Substantielles für sich in Anspruch nehmen will. Erwartet nicht, daß Euch die Medien hierüber informieren. Sie können es nicht, denn die Interessen von Medien und Regierung und auch von den Großkonzernen, in deren Dienst beide stehen, sind zu eng miteinander verflochten.
Aber ich kann es.
Und ich werde es tun, selbst wenn ich gezwungen bin, es aus dem Schattenreich des Todes heraus zu tun.«
Aus der Todeszelle - Mumia Abu-Jamal, Dezember 1994
Mehr als 13 Jahre sind seit der Sendung dieser Schriftzeichen vergangen. 14:39 Uhr ist es jetzt in seiner Zelle, am 4. Juli 2008 werden es 26 Jahre sein, seit er 1982 zum Tod verurteilt wurde. 26 Jahre, ausgeschlossen von allem, was für uns Leben ausmacht. 26 Jahre eingeschlossen in einen Betonkäfig von 2 x 3 Metern, 20 der vierundzwanzig Stunden eines Tages. 26 Jahre zwischen Leben und Tod. Albert Camus hat 1961 versucht sich diesem Nichtvorstellbaren verbal anzunähern:
»Um das rechte Verhältnis herzustellen, müsste die Todesstrafe gegen einen Verbrecher verhängt werden, der sein Opfer zunächst warnt, dass er es an einem bestimmten Tag auf schrecklichste Weise ermorden wird, und es von diesem Moment an viele Jahre lang in seiner Gewalt gefangen hält. Ein solches Ungeheuer wird man im privaten Bereich nicht finden.«
Die Stimmen, die sich für die Freilassung von Mumia oder zumindest für die Wiederaufnahme seines Verfahrens erheben, in dem nicht nur menschliches Rechtsempfinden verletzt, sondern auch das in den USA geltende Recht vielfach mißachtet und gebeugt wurde, sind mit den Jahren schwächer geworden. Ist das so, weil wir durch Dauer und Vergeblichkeit unserer Bemühungen abgestumpft sind? Oder weil es im Zuge der Kriege und Krisen so viele geworden sind, die leiden? »Je mehr es sind, die leiden, desto natürlicher erscheinen ihre Leiden«, konstatiert Bertolt Brecht 1938 angesichts des Schweigens über zunehmende Untaten. Ich fürchte, wir müssen zugeben, auch heute noch keine Antwort zu haben, die über seine hinausweist: »Alle, die über die Mißstände nachgedacht haben, lehnen es ab, an das Mitleid der einen mit den andern zu appellieren. Aber das Mitleid der Unterdrückten mit den Unterdrückten ist unentbehrlich. Es ist die Hoffnung der Welt.«
Im Sommer 1969, etwa zur gleichen Zeit, als sich Mumia mit 15 Jahren der Black Panter Party anschließt und Mitarbeiter an ihrer Zeitung wird, verantwortlich für Informationen aus Philadelphia, erklärt das FBI unter J. Edgar Hoover: »Vertraulich: Wir müssen der Negerjugend und den Gemäßigten klar machen, daß sie, falls sie auf revolutionäre Lehren hereinfallen sollten, tote Revolutionäre sein werden.« Mumias FBI-Akte füllt sich bald mit detaillierten Berichten über jeden seiner öffentlichen Auftritte, über seine Kontakte und Telefongespräche. Siebenhundert Seiten umfassen die Berichte, die 1991 nach jahrelangem Rechtsstreit freigegeben werden.
Aus dem Prozeßprotokoll der Verfahrens, in dem Mumia nicht nur als Polizistenmörder, sondern als unbelehrbarer Revolutionär zum Tode verurteilt wurde, vom 3.Juli 1982: »Der Staatsanwalt: ›Mr. Jamal, ich möchte Sie fragen, ob Sie sich daran erinnern, vor einiger Zeit (im Januar 1970 gegenüber einem Reporter des Philadelphia Inquirer) etwas gesagt zu haben und ... ich zitiere: ›Schwarze Brüder und Schwestern - und Organisationen -, die sich bisher noch nicht engagieren wollten, sehen sich der Realität gegenüber, mit der sich die Black Panthers schon lange auseinandersetzen mussten, und zwar -‹ und jetzt hören Sie auf das Zitat; Sie sind oft mit der Aussage zitiert worden: ›Die politische Macht kommt aus den Gewehrläufen.‹ Erinnern Sie sich daran, das gesagt zu haben, Sir?‹
Der Angeklagte: ›Das war ein Zitat aus dem Werk des Vorsitzenden Mao Tse-tung aus der Volksrepublik China. Es ist vollkommen klar, daß die politische Macht aus den Gewehrläufen kommt, denn andernfalls würde es Amerika heute nicht geben. Gerade Amerika hat schließlich den Indianern die politische Macht nicht mit Hilfe von Gott, nicht mit Hilfe des Christentums, nicht durch Güte weggenommen; sondern mittels der Macht, die aus Gewehrläufen kommt.‹«
Die »Stimme der Stimmlosen« wurde Mumia Abu-Jamal aufgrund seiner zahlreichen Radioreportagen vor seiner Verhaftung genannt, weil er, wo immer sich Gelegenheit dazu ergab, versuchte denen Gehör zu verschaffen, denen in unseren Gesellschaften die Mittel vorenthalten werden, sich zu äußern. Weder das Todesurteil noch 26 Jahre Todeszelle haben ihn zum Schweigen bringen können. Aus seinem Kommentar von 1993 zu einem Prozess wegen Mißhandlung politischer Gefangener in den USA: »Sie alle erfuhren, wie brüchig das System, das ihnen die Freiheit genommen hatte, war, sie alle erfuhren, daß Begriffe wie Gerechtigkeit, Gesetz, Bürgerrechte und sogar Verbrechen dehnbar sind und unterschiedliche Bedeutung haben, immer abhängig davon, wessen Rechte verletzt werden, wer an wem welches Verbrechen begangen hat und ob man für oder gegen das System arbeitet.«
Mumia 1997 in seinem Vorwort zur deutschen Ausgabe von »Still Black - Still Strong, Überlebende des US-Krieges gegen schwarze Revolutionäre«, übersetzt von Christian Klar: »Amerika hat eine sehr unterschiedliche Bedeutung für viele Menschen, und für viele ist der Name zum Synonym für Freiheit geworden. Millionen Menschen im Innern der USA allerdings assoziieren mit dem Namen einen Knast, eine Schlinge, einen Baum, an dem der eigene Vater wie eine fremde Frucht gehangen hat - das völlige Gegenteil von Freiheit. Die Stimmen in diesem Buch sind die Stimmen dieser Menschen, die verbalen Echos von Jahrhunderten, von Millionen, die im Zeitalter der Revolutionen ihren Platz an der Sonne gesucht haben.«
In seinem Grußwort vom 4. Januar 2008 an die diesjährige Rosa-Luxemburg-Konferenz warnt Mumia, bezogen auf die Schwäche der Arbeiterbewegung in den USA, vor einem »›Rassen‹-Bewußtsein, das das Klassenbewußtsein bis in die heutige Zeit überlagert«. Abgesehen von der Übertragbarkeit seiner Warnung auch auf deutsche Verhältnisse: Die Auseinandersetzung darüber, ob Mumia ein Opfer der ›Rassen‹- oder Klassenpolitik ist, erübrigt sich: ›Rassen‹- und Klassenfrage sind untrennbar miteinander verbunden, aber die ›Rassen‹- ist von der Klassenfrage abhängig, Rassismus wird als Mittel eingesetzt, ist nicht der Inhalt, um den es den Herrschenden und ihren Ideologie-Fabrizierenden geht, sondern die Form, mit deren Hilfe sie ihre Ziele – Sicherung der wirtschaftlichen und politischen Macht – verwirklicht. Konkret hat die Klärung dieser Frage zur Konsequenz: es geht um einen Menschen, dem wegen seiner Hautfarbe Unrecht geschieht, es geht um die Abschaffung der Todesstrafe – wir treten aber vor allem auch deshalb für Mumia ein, weil er sich politisch nicht unterwirft, sondern Widerstand leistet. Widerstand mit Hilfe der wenigen Werkzeuge, die Schreibende benötigen (PEN and Paper). Mumia: »Braucht ihr Schutz vor meiner Stimme? Oder braucht ihr nicht eher Schutz vor euren Beschützern?«
Aus dem Interview mit Mumia, das vor wenigen Tagen, am 12. April 2008 nach der jüngsten Gerichtsentscheidung von Block Report Radio in Berkeley gesendet wurde, übersetzt – wie die meisten von mir vorgetragenen Zitate von seinem deutschen Verleger Jürgen Heiser:
Mumia: Viele Leute haben sich durch die Hoffnungen auf die Entscheidung des Bundesgerichts beruhigen lassen, aber wir wurden eines Besseren belehrt. Also müssen wir zum Grundsätzlichen zurückkehren.
Frage: Was macht Sie zu einem Symbol in diesem Kampf?
Mumia: Für viele Leute des Establishments repräsentiere ich in vielerlei Hinsicht ihren schlimmsten Alptraum. Viele wissen nichts über die Ära der Black Panther Party, der schwarzen Befreiungsbewegung. Viele wissen bestenfalls noch etwas über die Bürgerrechtsbewegung und denken, heute sei alles in bester Ordnung. Wer aber im Schwarzenghetto oder im Barrio der Latino-Bevölkerung lebt, weiß, dass das Leben dort immer noch die Hölle ist. Obendrein haben sie heute noch mit der Verachtung durch die schwarze Bourgeoisie zu kämpfen, die sich in ihrer Verachtung der Armen mit der politischen Klasse vereinigt hat.
Frage: Was also tun?
Mumia: Ich werde den Leuten nicht sagen, was sie tun oder wie sie sich organisieren müssen. Das wissen sie selbst am besten. Sie müssen sich nur auf ihre eigenen Instinkte verlassen. Ich vertraue auf meine Mitmenschen, das habe ich schon immer getan, schon seit ich ein Teenager war. Sie lassen dich niemals hängen, sie tun das Richtige, weil sie tief in ihrem Innern wissen, was richtig ist. Dem sollten sie weiter folgen. Liebe Grüße an alle. Ona move – schaffen wir Bewegung! [Ende Interview-Zitat]
Nachbemerkung:
1. Wie auch immer die unterschiedlichen Gruppen in der Bundesrepublik mit ihren unterschiedlichen politischen Ansätzen zum Wechsel der Anwälte von Mumia Abu-Jamal stehen, wie auch immer ihre Konzepte lauten – eine Bitte ausdrücklich hier an dieser Stelle und ausdrücklich in Gegenwart von Robert Bryan: Laßt uns die Entscheidung von Mumia Abu-Jamal, Robert Bryan seine Verteidigung anzuvertrauen, akzeptieren und den Vorschlägen, die von ihrer Seite kommen, folgen, statt die Kräfte, die sich für seine Freilassung engagieren, zugunsten parteipolitischer Interessen aufzusplittern.
2. Die Verteidigung erfordert Geld, viel Geld. Angela Davis, Sprecherin der US-Kampagne gegen die Todesstrafe: »Im Namen der Gerechtigkeit bitten wir Sie um Ihre Unterstützung für Mumia Abu-Jamal und eine großzügige Spende im Rahmen Ihrer Möglichkeiten«.
Spendenkonto:
Archiv 92/Sonderkonto Jamal
S.E.B. Bank Bremen, BLZ 290 101 11
Kontonummer 100 8738 701
Stichwort »Verteidigung«
[Beifall, Ende des Redebeitrages]