aus: junge Welt Nr. 86 - 12./13. April 2008
[ergänzt um zwei Fragen und Antworten am Ende, die in der jW aus Platzgründen entfallen mußten]
Wie schätzen Sie die Entscheidung des US-Bundesberufungsgerichts vom 27. März ein, die zwar eine Umwandlung der Todesstrafe in lebenslange Haft möglich macht, aber die Verurteilung wegen Mordes festschreibt?
Ich habe gelernt, auf solche Entscheidungen mit Skepsis zu reagieren. Meine Skepsis rührt aus vielen Jahren revolutionärer Politik. Ein Reporter kommentierte die Entscheidung als »Mumia-Ausnahmerecht«. Tatsächlich geht es hier aber nicht um eine »Mumia-Ausnahme«, sondern um die »Mumia-Regel«, denn das ist seit 1981 immer so gelaufen. Wir sollten also nicht überrascht sein.
Manche sehen in der Entscheidung auch einen Sieg. Können Sie das erklären?
Wenn es ein Sieg sein sollte, dann ein sehr kleiner. Das Bundesgericht hat faktisch neues Recht geschrieben. Deshalb ist es in meinen Augen kein Sieg, sondern wiederum die »Mumia-Regel«. Wenn ein Gericht neues Recht durchsetzen muß, um ein Unrechtsurteil aufrechterhalten zu können, dann ist das kein Erfolg. Aber wir kämpfen weiter.
Die Solidaritätsbewegung muß den Protest wieder stärker auf die Straße tragen. Worauf muß sich die Kampagne konzentrieren?
Viele Leute haben sich für einen Moment wieder in Sicherheit wiegen lassen. Sie haben von der mündlichen Anhörung vor dem Bundesberufungsgericht am 17. Mai 2007 gehört und gesagt: Toll, er hat was erreicht!
In Pittsburgh hat Ende März ein erfahrener schwarzer Anwalt aus Alabama auf einer Konferenz von Todesstrafengegnern gesprochen. Auf die Frage, was denn jetzt mit Mumia sei, hat er geantwortet: »Macht euch keine Sorgen, der kriegt jetzt seinen neuen Prozeß!« Dieser Anwalt ist ein berühmter Rechtsexperte, aber trotzdem hat er etwas Falsches erzählt. Was selbst gute Anwälte nicht berücksichtigen, ist der Faktor Politik in der Rechtspraxis, ist die Person, um die es geht. Das Gesetz wird wie ein Chamäleon den Notwendigkeiten angepaßt. Viele Leute haben sich durch die Hoffnungen auf die Entscheidung des Bundesgerichts beruhigen lassen, aber wir wurden eines Besseren belehrt. Also müssen wir zum Grundsätzlichen zurückkehren.
Was also tun?
Ich werde den Leuten nicht sagen, was sie tun oder wie sie sich organisieren müssen. Das wissen sie selbst am besten. Sie müssen sich nur auf ihre eigenen Instinkte verlassen. Ich vertraue auf meine Mitmenschen, das habe ich schon immer getan, schon seit ich ein Teenager war. Sie lassen dich niemals hängen, sie tun das Richtige, weil sie tief in ihrem Innern wissen, was richtig ist. Dem sollten sie weiter folgen.
Was macht Sie zu einem Symbol in diesem Kampf?
Für viele Leute des Establishments repräsentiere ich in vielerlei Hinsicht ihren schlimmsten Alptraum. Viele wissen nichts über die Ära der Black Panther Party, der schwarzen Befreiungsbewegung. Viele wissen bestenfalls noch etwas über die Bürgerrechtsbewegung und denken, heute sei alles in bester Ordnung. Wer aber im Schwarzenghetto oder im Barrio der Latino-Bevölkerung lebt, weiß, daß das Leben dort immer noch die Hölle ist. Obendrein haben sie heute noch mit der Verachtung durch die schwarze Bourgeoisie zu kämpfen, die sich in ihrer Verachtung der Armen mit der politischen Klasse vereinigt hat.
Was fürchten die Herrschenden?
Sie fürchten, daß die schwarze Revolution wieder ihren Kopf erhebt. Deshalb haben wir es mit einem Druck zu politischen Ergebenheitsbekundungen zu tun. Schwarze bitten öffentlich für das um Entschuldigung, was ihnen ihre schwarzen Prediger in der Kirche erzählen. Die Kirche ist derzeit einer der wenigen Orte, an dem die Leute über Freiheit sprechen und die Wahrheit über die Mächtigen äußern können. Das wird öffentlich verwässert, und Leute, die niemals eine schwarze Kirche von innen gesehen haben, wollen den Schwarzen diktieren, daß das, was sie dort zu hören bekommen, Schwachsinn ist.
Die begrenzte Zeit für das Interview ist vorbei. Es sei noch erwähnt, daß von Skandinavien bis Afrika überall auf der Welt laut gefordert wird: »Freiheit für Mumia Abu-Jamal!«
Liebe Grüße an alle. Ona move – schaffen wir Bewegung!
Übersetzung: Jürgen Heiser