Kolumne 29.03.08: Barack Obamas Priesterschelte

29.03.08 (von maj) Reverend Jeremiah Wright fragt nach Hillary Clintons Herkunft – der schwarze Präsidentschaftskandidat zeigt sich »entsetzt« darüber

Mumia Abu-Jamal * junge Welt Nr. 74 - 29./30. März 2008

Reverend Dr. Jeremiah Wright ist ein pensionierter Priester der United Church of Christ, der auch Senator Barack Obama, potentieller Präsidentschaftskandidat der Demokratischen Partei aus Illinois, angehört und an deren Gottesdiensten er rege teilnimmt. Kürzlich gab es eine Kontroverse über Äußerungen Wrights, die uns zeigte, wie begrenzt und engstirnig die Ansichten sind, mit denen der junge Senator aus Chicago hausieren geht. Obwohl die Kommentare des Ruheständlers Wright nur im Internet kursierten, sah sich Obama genötigt, öffentlich mitzuteilen, er sei »entsetzt« über die Bemerkungen und weise sie als »beleidigend« zurück.
Was waren das nun für schlimme Äußerungen, die der Pastor von sich gegeben hatte? Er soll über Obamas Konkurrentin, die New Yorker Senatorin Hillary Rodham-Clinton, gesagt haben, sie habe Vorteile in ihrer politischen Karriere gehabt, weil sie weiß ist. Sie sei in einer wohlhabenden Familie aufgewachsen und habe sich niemals in ihrem Leben als »Nigger« beschimpfen lassen müssen. Außerdem soll Wright gesagt haben, die USA seien auf Rassismus aufgebaut worden, das Land werde von reichen Weißen regiert, und die Ereignisse des 11. September 2001 seien eine direkte Konsequenz der US-Außenpolitik.
Der Wahrheitsgehalt dieser Einschätzungen steht außer Frage. Auch wenn es vorstellbar ist, daß sie nationalkonservativen Kräften in den USA nicht besonders gefallen mögen, bleiben sie dennoch wahr. Wäre Senatorin Clinton heute, was sie ist, wenn sie als schwarze Frau geboren worden wäre? Als Kind einer alleinerziehenden Mutter im Großstadtslum?
Natürlich könnte man einwenden, die Aussage, daß die ganze Nation auf Rassismus basiere, sei vereinfachend. Doch mit Sicherheit bildet die rassistische Sklaverei einen wichtigen Teil des Fundaments, auf dem sich Macht und Reichtum des Landes gründen. Und wer regiert die USA, wenn nicht die superreichen weißen Eliten? Selbst wenn Schwarze zu Wohlstand und Vermögen gekommen sind und dadurch sicherlich auch Einfluß ausüben, wäre es verrückt anzunehmen, sie »regierten« auch das Land. Oprah Winfrey, Bob Johnson und Bill Cosby sind wirklich reich und haben Einfluß, aber sie verfügen über keinerlei Macht.
Die Grenzen von Cosbys wirtschaftlicher Macht wurden erkennbar, als er vor Jahren versuchte, das Fernsehnetzwerk NBC zu kaufen. Mit seinem Angebot erntete er nur ein selbstgefälliges Grinsen von den Vertretern des Big Business. Und Oprahs Reichtum, der sicher bemerkenswert ist, verblaßt vor dem ungeheuren Besitzstand, den Männer wie Bill Gates oder der Investor Warren Buffet angehäuft haben. Wäre George W. Bush je US-Präsident geworden, wenn er als der Chicano Jorge Guillermo Arbusto – die Übersetzung von Bushs Namen ins Spanische – aufgewachsen wäre?
Bei seinem Vorhaben, der erste schwarze Präsident der USA zu werden, will Barack Obama unbedingt beweisen, wie wenig schwarz er ist, selbst wenn er dafür einen Menschen wie Wright denunzieren muß, den er eigentlich als seinen Mentor betrachtet. Wer die afroamerikanische Kirche der USA von innen kennt, weiß, daß Priester von der Kanzel politische und soziale Kommentare verkünden. Reverend Dr. Martin Luther King sprach an vielen Orten der USA über Politik, Krieg, Rassismus, Ökonomie und soziale Gerechtigkeit. Seine Schönwetter-Freunde haben ihn verraten, und die Presse verdammte seine Äußerungen als »unangemessen« und »unpatriotisch«. Dr. King warf den USA vor, »der schlimmste Gewalttäter« der Welt zu sein, und er verurteilte den Vietnamkrieg als ungerecht.
Hätte Obama es 1967 der weißen Presse gleichgetan und Kings Worte als »aufrührerisch« denunziert? Nur zum Nutzen einer Politik des weißen kapitalistischen Wohlergehens über alles, einer Politik, die das Leiden der schwarzen US-Bevölkerung ignoriert, die die schwarze Geschichte verfälscht und die eher den Status quo anpreist, als wirkliche Veränderung anzustreben?
In der Politik geht es um mehr als das Gewinnen von Wahlen. Es geht um Prinzipien. Es geht darum, sich treu zu bleiben und seine Vorfahren zu ehren. Es geht nicht nur allgemein um »Veränderung«, denn nicht jede Veränderung wendet die Verhältnisse zum Besseren. Es geht darum, die Wahrheit zu sagen und mit den Mächtigen Tacheles zu reden.

Übersetzung: Jürgen Heiser


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Stand: 23.11.2024 um 15:25:08 Uhr