junge Welt Nr. 305 - 5./6. Januar 2008
Robert R. Bryan aus San Francisco, USA, ist seit über 30 Jahren Fachanwalt für Todesstrafenverfahren und hat darüber zahlreiche Artikel in Fachzeitschriften und -büchern veröffentlicht. Seit Januar 2003 leitet er das Team der Vertrauensanwälte, die für ihren Mandanten Mumia Abu-Jamal vor den US-Bundesgerichten eine Aufhebung des 1982 verhängten Todesurteils und die Wiederaufnahme des Verfahrens erreichen wollen.
Sie sind als Anwalt seit über 30 Jahren in Todesstrafenverfahren tätig. Warum haben Sie sich auf diesen Bereich des Strafrechts spezialisiert?
Ich bin in Alabama in den Südstaaten der USA aufgewachsen. Schon als Kind hat es mich verstört, daß Menschen allein wegen ihrer Hautfarbe und wegen ihrer Armut diskriminiert werden. Gegen dieses Unrecht wollte ich etwas tun. Deshalb fing ich nach der Schule an, Jura zu studieren. Im November 1963 war Präsident John F. Kennedy ermordet worden. Diese Zeit veränderte mich persönlich sehr stark, mir wurden die Augen für die Vorgänge in der Welt geöffnet. Mir wurde klar, daß sich die Welt nur zum Besseren verändern kann, wenn wir diese Veränderungen persönlich in Angriff nehmen. Nach dem Studium ging ich Ende des Jahres 1967 nach Birmingham, Alabama...
...in das Zentrum der schwarzen Bürgerrechtsbewegung von Martin Luther King jr. ...
... ja, und da ritt also dieser Jüngling auf seinem Schimmel in die Stadt, mit Lanze und Schild und zum Kampf gegen das Unrecht bereit. Ich suchte mir ein kleines Anwaltsbüro und stellte die Bedingung, daß ich mir meine Fälle selbst aussuchen konnte. Mit knapp 28 Jahren übernahm ich meinen ersten Fall, in dem der Mandant von der Todesstrafe bedroht war, und die Jury erkannte am Ende auf »nicht schuldig«. Ein schwieriger Mordfall, aber dieser junge Nachwuchsanwalt hatte ihn gewonnen.
Es muß Ihnen trotzdem noch an Erfahrungen gefehlt haben...
Dazu habe ich in den ersten Jahren meiner Arbeit viele bekannte Anwälte überall in den USA aufgesucht. Ich habe sie bei ihrer Arbeit beobachtet und viel von ihnen gelernt.
Spielte Rassismus auch damals schon eine zentrale Rolle in den Verfahren?
Natürlich, und nicht nur in den Südstaaten. Die zwölf Geschworenen waren in der Regel Weiße, die Angeklagten waren in der Regel Schwarze – aber trotzdem habe ich jeden meiner Fälle gewonnen, und die Beschuldigten wurden nicht hingerichtet. Es kam auch vor, daß ich selbst wegen »Mißachtung des Gerichts« in Ordnungshaft wanderte, weil ich mich mit einem rassistischen Richter angelegt hatte.
Welches Rüstzeug braucht ein Anwalt für diese juristischen Schlachten?
Leidenschaft. Ich muß dieses Lodern eines Feuers in mir spüren, sonst ist der Kampf von vornherein verloren. Ich habe Angeklagte in weit über 200 Mordfällen erfolgreich verteidigt, davon etwa 100 vor Geschworenengerichten und die anderen in den höheren Instanzen vor Bundesgerichten wie jetzt Mumia Abu-Jamal.
Sie lehnen die Todesstrafe grundsätzlich ab. Wie kämpfen Sie politisch dagegen?
Ich war zehn Jahre lang Vorstandsmitglied und einige Jahre Vorsitzender der National Coalition to Abolish the Death Penalty (NCADP) in Washington D.C. Die NCADP, für die ich jetzt aus Zeitgründen nicht mehr aktiv sein kann, ist eine Dachorganisation, der u. a. Amnesty International und die American Civil Liberties Union (ACLU) angehören. Ich arbeite jetzt in der Leitung des Weltkongresses gegen die Todesstrafe, der sich alle zwei Jahre trifft, zuletzt im Februar 2007 in Paris.
Stimmte es Sie hoffnungsvoll, als die Todesstrafe in den USA 1972 suspendiert wurde?
Sie wurde durch das Urteil des Obersten Gerichtshofs der USA im Fall Furman gegen Georgia regelrecht abgeschafft, weil die Richter festgestellt hatten, daß die Todesstrafe gegen die US-Verfassung verstieß. Wir waren sehr optimistisch, wir hatten es geschafft! Das Urteil stoppte die gesamte Todesstrafenpraxis, und die Todestrakte wurden geschlossen. Innerhalb von vier Jahren modifizierten die Bundesstaaten ihre Gesetzgebung aber, und so setzte der Supreme Court sie wieder in Kraft. Immerhin war auf diese Weise die Todesstrafenmaschinerie für vier Jahre außer Betrieb gesetzt.
Können Lehren für heute aus dieser Erfahrung gezogen werden?
Lernen können wir daraus, daß es in der Frage des Kampfes um die Menschenrechte kein Utopia gibt. Es gibt keinen Punkt, an dem alles erreicht ist. Auch wenn wir partielle Erfolge erzielen, so bestehen doch Rassismus und Ungerechtigkeit fort. Jede US-Regierung der letzten Jahrzehnte hat kontinuierlich die Bürgerrechte abgebaut.
Deshalb ist eine der Lehren, die wir aus der vorübergehenden Abschaffung der Todesstrafe ziehen können, daß wir immer wachsam sein müssen. Der Kampf um den Erhalt unserer Bürger- und Menschenrechte muß konstant geführt werden, auch wenn das noch so mühsam sein mag.
Sie sind Anfang 2003 Mumia Abu-Jamals Hauptverteidiger geworden. Seit wann hatten Sie Kontakt zu ihm?
1986 erhielt ich einen persönlichen Brief von ihm, und das war der Beginn unseres Briefwechsels. 1992 habe ich ihn dann zum ersten Mal besucht. Ich hätte damals gern seine Verteidigung übernommen, mußte es aber zunächst ablehnen, weil ich noch einige langjährige Mordprozesse zu führen hatte.
Als Sie dann 2003 die Akten studierten, sahen Sie da die Notwendigkeit, die Verteidigungsstrategie zu ändern?
Definitiv ja. Die Akten zeigten mir, daß der Fall in all den Jahren juristisch nicht optimal vertreten worden war, weil keiner der Verteidiger, die seit 1992 an dem Fall gearbeitet hatten, auf die Todesstrafe spezialisiert war. Es wurden Fehler gemacht, sicher ohne jede Absicht, aber nicht ohne Folgen. Der Fall lag in tausend ungeordneten Teilen vor mir. Ich mußte das Puzzle neu zusammensetzen und radikale Veränderungen der Verteidigungsstrategie vornehmen.
Die Verteidigerwechsel hatten auch in der Solidaritätsbewegung Spuren hinterlassen. Wie haben Sie sich damit auseinandergesetzt?
Wir haben vor allem Probleme mit Leuten in der Kampagne, die ihre eigenen politischen Interessen verfolgen und dabei Mumias Glaubwürdigkeit untergraben. Ich habe eine Menge Zeit darauf verwenden müssen, diese Glaubwürdigkeit wiederherzustellen.
Was bedeutet Glaubwürdigkeit für einen politischen Gefangenen, der seit über 25 Jahren im Todestrakt sitzt?
Im Gegensatz zu einigen Leuten, die sich öffentlich in Mumia Abu-Jamals Namen äußern, ohne mit ihm je darüber gesprochen zu haben und von ihm autorisiert zu sein, hat er immer verantwortlich und niemals egoistisch gehandelt. Er schreibt nie über sich, sondern über die großen Probleme unserer Zeit: Frauenrechte, Diskriminierung, Armut, Krieg, die Black Panther Party, Malcolm X und vieles mehr. Mumia ist nicht das Problem, er ist das große Plus! Aber unter seinen Unterstützern gibt es ein paar Leute, die so tun, als sei sein Fall ihr eigener, sie beuten ihn für ihre eigenen Interessen aus und schaden meinem Mandanten.
Teilt Ihr Mandant Ihre Sicht auf diese Erscheinungen?
Die angesprochenen Probleme haben wir gemeinsam erörtert. Er vertraut mir und weiß, daß er sein Leben in meine Hände gelegt hat. Umgekehrt vertraue auch ich ihm absolut und lege ja auch meine Existenz in seine Hände. Ich spüre, daß wir uns in unserer Arbeit in eine sehr positive Richtung bewegen.
Wie gehen Sie damit um, wenn auf dem Rücken Ihres Mandanten, der um sein Leben kämpft, egoistische Interessen verfolgt werden?
Ein Teil dieser politischen Kräfte propagiert einen angeblichen Kronzeugen des Falles, der vorgibt, der wahre Täter zu sein. Diese Leute wissen, daß es eine Lüge ist. Mein Mandant hat dem niemals zugestimmt, aber sie posaunen diesen Krimi weiter in alle Welt. Wir können dagegen nur unsere eigenen Akzente setzen, und das tun wir recht erfolgreich. Ich habe diesen Fall übernommen, um einen Freispruch vor einer neuen Jury zu erreichen. Und genau das will auch mein Mandant. Basta. Alles, was bei der Erreichung dieses Zieles hilft, akzeptieren wir. Alles, was uns von diesem Ziel abbringt, nicht.
Ein Fotograf namens Polakoff hat 1981 am Tatort in Philadelphia Fotos gemacht. Es hat Irritationen ausgelöst, daß diese Fotos jetzt nicht von der Verteidigung veröffentlicht wurden, sondern von Privatpersonen, die sie als Sensation handeln. Was halten Sie davon?
Zunächst einmal sagen diese Fotos nichts über Schuld oder Unschuld meines Mandanten aus. Sie zeigen nur, daß die Polizei Beweismittel manipuliert bzw. nicht gesichert hat, weil sie Mumia Abu-Jamal sofort zum Täter erklärt hatte. Er war schwarz, war ein bekannter politischer Aktivist, hatte die Polizei öffentlich kritisiert, und nun konnten sie ihn endlich abservieren. Er war also schon zum Tode verurteilt, bevor er ins Gefängnis eingeliefert wurde.
Nützen die Fotos der Arbeit der Verteidigung?
Das Problem mit den Fotos ist: Wir wußten natürlich von dem Fotografen, aber es handelt sich hier um einen Zeugen, den wir nur in einem neuen Prozeß vorladen würden. Beim Ringen um Mumias Freiheit wäre es effektiver gewesen, wenn es mir möglich gewesen wäre, diese Fotos erst vor der Jury in einem neuen Prozeß zu präsentieren. Dann hätten wir damit sicherlich eine dramatische Wirkung erzielen können. Jetzt kennt die Staatsanwaltschaft sie leider schon und kann sich darauf einstellen.
Hatten Sie Einfluß auf die Verwendung?
Ein deutscher Buchautor hat sie mir zur Ansicht zugeschickt. Es ist die Freiheit von Leuten, zu sagen und zu tun, was sie wollen, und wenn jemand solche Fotos unbedingt veröffentlichen will, dann kann ich das nicht verhindern.
Bei dem Berufungsantrag vor dem Bundesgericht geht es derzeit nicht um Sachbeweise, sondern um rechtliche Verstöße gegen die Verfassung. Verfügen Sie über bislang unbekannte Beweise, die für einen neuen Prozeß ausschlaggebend wären?
Es gibt Beweise, über die ich nicht öffentlich sprechen kann. Von dem, was damals am 9. Dezember 1981 wirklich geschah, hat von den Leuten, die öffentlich darüber spekulieren, niemand einen blassen Schimmer. Mumia und ich haben bereits vor langer Zeit entschieden, daß die wirklich explosiven Beweise, über die wir verfügen, von uns nur in einem neuen Prozeß präsentiert werden. Deswegen müssen wir den öffentlichen Druck für ein neues Verfahren verstärken.
Wie ist der aktuelle Stand?
Die Berufungsanträge zur Frage der Wiederaufnahme des Verfahrens stehen beim Bundesberufungsgericht für den 3. Bezirk in Philadelphia zur Entscheidung. Der Fall ist äußerst kompliziert, deswegen brauchen die Bundesrichter offensichtlich länger als erwartet. Die möglichen Entscheidungen des Gerichts sind im wesentlichen drei. Erstens: Das Gericht läßt die Verurteilung wegen Mordes unangetastet, ordnet aber ein neues Urteil über das Strafmaß vor einer Jury an. Also: Todesurteil oder lebenslange Haft. Zweitens: Das Todesurteil wird wegen Verletzung der Verfassung aufgehoben und der Fall in einem neuen Prozeß neu aufgerollt. Mein Mandant könnte dann freigesprochen werden. Drittens: Das Bundesgericht lehnt alle Berufungsanträge ab und bestätigt das Todesurteil vom 3. Juli 1982.
Wie geht es Ihrem Mandanten, und wie schätzt er den Ausgang vor dem Bundesberufungsgericht ein?
Mumia hat in einem Interview gesagt, daß er sich in seinem Alltag nicht auf den Tod vorbereitet, sondern auf das Leben. Er ist sehr optimistisch, er ist ein Realist. Er weiß, daß er in einem Jahr tot sein kann, hingerichtet. Die Verletzungen der US-Verfassung in diesem Verfahren sind enorm. Wenn die Bundesrichter keine Winkelzüge machen, sondern sich auf die Verfassung stützen, dann gewinnt Mumia. Das ist überhaupt keine Frage. Mumia hat eine sehr positive Einstellung. Daß er im September 2007 offiziell Mitglied des P.E.N.-Zentrums der USA geworden ist, hat seinen Optimismus immens verstärkt. Er ist nicht Mitglied der Schriftstellervereinigung geworden, weil er im Todestrakt sitzt, sondern als Anerkennung seiner Arbeit als Autor.
Was kann die internationale Solidaritätsbewegung tun, um die Arbeit der Verteidigung zu unterstützen?
Unsere Arbeit mit Spenden unterstützen und vor allem öffentlich Krach schlagen. Dazu gehört jedes Mittel: Demonstrationen, Kundgebungen, Artikel schreiben, vor allem müssen die Medien in den USA auf den Protest gestoßen werden. Die Rosa-Luxemburg-Konferenz macht die Solidarität für Mumia seit 1998 in jedem Jahr zum Thema. Die Bundestagsfraktion der Partei Die Linke hat im April 2007 geschlossen eine Petition verabschiedet, in der ein neuer Prozeß gefordert wird, und an das US-Bundesgericht geschickt. Das alles ist in seiner Gesamtheit von großem Gewicht. Damit wird nicht nur Druck für Mumias Freiheit gemacht. Weil er zu einem Symbol des Kampfes gegen die Todesstrafe und des Kampfes für die Menschenrechte geworden ist, nützt jede Initiative für ihn auch den anderen Gefangenen in den Todestrakten dieser Welt.
Rassismus ist das zentrale Thema
»Mumia Abu-Jamal sitzt im Todestrakt, weil er schwarz ist, Ex-Black Panther und ein oppositioneller kritischer Journalist, der über Rassismus und Unrecht schreibt. Seine Gegner wollen ihn deshalb loswerden. Rassismus ist das zentrale Thema, das sich seit seiner Verhaftung am 9. Dezember 1981 bis heute durch seinen Fall zieht: Die Staatsanwaltschaft hielt schwarze Geschworene aus dem Verfahren, Richter Albert Sabo versprach der Anklage, »den Nigger zu grillen«, und verurteilte ihn zum Tode. Weil der Rassismus, der in diesem Verfahren zum Himmel stinkt, ein klarer Verfassungsbruch ist, liegt darin für uns die einzige Chance, den Hebel anzusetzen und die Aufhebung des Todesurteils zu erreichen.« Robert R. Bryan
Robert R. Bryan wird auf der XIII. Rosa-Luxemburg-Konferenz am 12. Januar 2008 den Redebeitrag seines Mandanten Mumia Abu-Jamal einleiten und sich mit einem Appell an die Solidaritätsbewegung wenden.
Kontinuierliche Informationen aus Rechtsanwalt Bryans Büro, über die Kampagne für Mumia Abu-Jamal und gegen die Todesstrafe auf der Website des IVK: www.freedom-now.de