Mumia Abu-Jamal * junge Welt Nr. 227 - 29./30.09.2007
Im kommenden Haushaltsjahr will US-Präsident George W. Bush für die Kriege in Irak und Afghanistan rund 40 Milliarden Dollar mehr ausgeben als ohnehin geplant. US-Verteidigungsminister Robert Gates hat gerade beim Kongreß einen Etat von insgesamt etwa 190 Milliarden Dollar für die beiden Militäreinsätze gefordert. Mit diesen Nachrichten geht der Monat September zu Ende. Er war wieder ein Monat der Erinnerungen an den 11. September 2001, aber auch ein Monat der staatlichen Propaganda, die sich dieses Datums bemächtigt hat.
Es stimmt, daß der 11. September den Lauf der Welt verändert hat, allerdings auf eine andere Weise, als es in der Absicht der Bush-Regierung lag. Geändert hat sich vor allem, wie die Welt die USA heute wahrnimmt. Es waren weniger die Anschläge, die diese Wahrnehmung verändert haben, sondern vielmehr die Art und Weise, wie die US-Regierung unter George W. Bush auf »9-11« reagiert hat.
Als die Asche der eingestürzten Zwillingstürme des World Trade Center in New York noch rauchte, brachten Verbündete und sogar politische Gegner der USA ihre Bestürzung zum Ausdruck, und nicht wenige erklärten sich zum Schulterschluß bereit. Aber sechs Jahre können einen gewaltigen Unterschied machen. Was anfangs noch wie Solidarität aussah, ist mittlerweile bei vielen Unterstützern der US-Politik in eine verbitterte Tolerierung und sogar in eine kaum verhohlene Wut und Gegnerschaft umgeschlagen. Erinnert sich noch jemand an die vielgepriesene »Koalition der Willigen«? Sie ist zahlenmäßig stark geschrumpft, und nichts ist mehr übrig vom anfänglichen Kampfeseifer. Selbst die britische Regierung, der erklärte treueste Verbündete der USA, hat ihre Truppen mittlerweile aus der südirakischen Stadt Basra abgezogen – ohne großes Aufsehen und im Schutz der Dunkelheit. Und in einigen Ländern wurden die kriegswilligen Regierungen abgewählt und ihre Mitglieder in Rente geschickt. So beispielsweise in Spanien, dessen neokonservative Regierung unter José Maria Aznar sich bereitwillig dem »US-Kreuzzug gegen den Terror« angeschlossen hatte. Aznar wurde nach den Anschlägen vom 11. März 2004 von der eigenen Bevölkerung aus dem Amt gejagt – das ist der Preis der Freiheit und der Demokratie.
In den USA, an der Heimatfront des von Bush erklärten »endlosen« und »weltweiten« Krieges, hat die Auseinandersetzung um die Kriegspolitik zu Spaltungen in der Gesellschaft geführt, wie man sie seit dem Vietnamkrieg nicht mehr kannte. Und der US-Präsident? Nicht nur, daß die Zustimmung für ihn persönlich einen absoluten Tiefpunkt in seiner siebenjährigen Amtszeit erreicht hat, er zieht auch seine ganze Partei noch mit in den Abgrund. Sein letzter Trick, als höchster politischer Repräsentant seiner Regierung noch etwas Zeit zu schinden, indem er die Nation und die Welt kürzlich auf den Bericht des Generals David Petraeus’ orientierte, hat die Wahrheit über das tatsächliche Verhältnis von Politik und Militär offenbart. Wie kann es angehen, daß der Bericht eines hohen Militärs ausschlaggebend für die Politik einer zivilen Regierung sein soll? In einer Demokratie hat die Regierung nicht zu tun, was das Militär befiehlt, sondern umgekehrt ist es so, daß das Militär sich der politischen Führung unterzuordnen hat. Aber seit dem 11. September 2001 hat sich die USA-Gesellschaft so weit und mit einem so rasanten Tempo von demokratischen Werten entfernt, daß es schon fast als normal erscheint, daß eine ganze Nation gespannt auf das hört, was der Sprecher einer so undemokratischen Institution wie der US-Armee zu sagen hat.
Wenn die Bush-Regierung in den letzten sechs Jahren irgend etwas gründlich verändert hat, dann auf jeden Fall die Umkehrung der Befehlsgewalt zwischen Politik und Militär. Von dem Tag an, als »Oberbefehlshaber« George W. Bush die Kriegshunde gegen Afghanistan und Irak von der Leine gelassen hat und die Länder im Abstand weniger Monate mit schweren Luftbombardements angreifen ließ, hat er nichts anderes ausgelöst als eine fatale Kettenreaktion von humanitären und militärischen Katastrophen.
*Übersetzung: Jürgen Heiser