24. April 2007
Honorable Anthony J. Scirica, Chief Judge
United States Court of Appeals for the Third Circuit
21400 U.S. Courthouse
601 Market Street
Philadelphia, Pennsylvania 19106-1790
Betr.: Mumia Abu-Jamal v. Martin Horn, Pennsylvania Director of
Corrections / Case Nos. 01-9014, 02-9001 (Todesstrafe)
Sehr geehrte Herr Scirica,
wir, die unterzeichnenden Mitglieder des Deutschen Bundestages, wenden uns mit unserem Schreiben an Sie wegen des Falles von Mr. Mumia Abu-Jamal, Journalist und Autor aus Philadelphia. Seit Jahren verfolgen wir mit großer Aufmerksamkeit seine Anstrengungen, das am 3. Juli 1982 gegen ihn verhängte Todesurteil gerichtlich aufheben zu lassen und ein neues und faires Verfahren gewährt zu bekommen.
Die Entscheidung ist auch für uns in Deutschland von großem Interesse, da das Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland ausdrücklich die Todesstrafe verbietet. In allen Ländern der Europäischen Union und in den Mitgliedsstaaten des Europa-Rates wurde die Todesstrafe in den letzten Jahrzehnten abgeschafft oder ausgesetzt. Die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte besagt, dass die Auslieferung einer Person in eine Situation, die sie in die Todeszelle bringen kann, unmenschlicher und entwürdigender Behandlung gleichkommt und somit eine Verletzung des Artikels 3 der europäischen Konvention für Menschenrechte darstellt.
Als die zuständigen Richter haben Sie im Dezember 2005 drei der von Mr. Abu-Jamals Verteidigung vorgebrachten Berufungsgründe zur gerichtlichen Prüfung zugelassen, von denen jeder einzelne von enormer verfassungsrechtlicher Bedeutung ist.
Die bedeutendste Frage in der jetzt vor Ihrem Gericht anstehenden juristischen Überprüfung ist die, ob die systematische Ablehnung von afroamerikanischen Kandidaten für die Geschworenenjury durch die Staatsanwaltschaft die Fairness des gesamten Verfahrens untergraben hat. Das scheint das gängige Vorgehen des Vertreters der Anklage im Verfahren von Mr. Abu-Jamal, Staatsanwalt Joseph McGill, gewesen zu sein. Wie wir wissen, hat der Oberste Gerichtshof der USA vor einigen Jahren festgestellt, dass ein solches Vorgehen der verfassungsmäßig gebotenen Fairness in Strafprozessen widerspricht. Vor allem auf diesen wichtigen Präzedenzfall begründet sich deshalb die Anfechtung des gegen Mr. Abu-Jamal verhängten Todesurteils.
Der zweite Berufungsgrund bezieht sich auf das Zustandekommen des von der Jury gefassten Schuldspruchs. Staatsanwalt Joseph McGill hatte in seinem Plädoyer die Zweifel einzelner Geschworener an der Schuld des Angeklagten beschwichtigt und betont, Mr. Abu-Jamal könne nach dem Urteil »Berufung nach Berufung« einlegen und seine Unschuld auch später noch vor anderen Gerichten beweisen. Die Geschworenen fühlten sich dadurch in ihrer Verantwortung entlastet und verhängten einstimmig die Todesstrafe. Juristisch war damit das Prinzip »im Zweifel für den Angeklagten« und die Notwendigkeit des untrüglichen Schuldnachweises durch die Anklage auf den Kopf gestellt. Die Geschworenen waren dadurch in ihrer Möglichkeit voreingenommen, die unter ihnen vorhandenen Zweifel zum Anlass zu nehmen, kein Urteil zu fällen, was zur Neuwahl einer Jury und zu einem neuen Prozess geführt hätte.
Der dritte Punkt, der zur Überprüfung vor Gericht zugelassen wurde, betrifft das Verhalten des vorsitzenden Richters Albert Sabo während der ersten Anhörung zum Wiederaufnahmeverfahren von 1995. Da das Bundesgericht auch das Vorgehen dieses Richters überprüfen will, hat es zu verstehen gegeben, dass das Verfahren gegen Mr. Abu-Jamal tatsächlich von der Voreingenommenheit und dem rassistischen Verhalten des vorsitzenden Richters bestimmt gewesen sein könnte.
Wir wissen, dass die Überprüfung der hier angeführten fraglichen Punkte Ihnen als den zuständigen Richtern die Chance gibt, die in vorherigen Instanzen begangenen Fehler zu korrigieren. Zugleich haben Sie mit Ihrer Entscheidung vom Dezember 2005 eine Perspektive für einen neuen und fairen Prozess eröffnet. Mr. Abu Jamal könnte somit gemeinsam mit seinem Hauptanwalt, Mr. Robert R. Bryan aus San Francisco, zum ersten Mal vor einem ordentlichen Gericht der Vereinigten Staaten seine Version der Ereignisse der Nacht des 9. Dezember 1981, für die er zum Tode verurteilt wurde, ungehindert vorbringen. Es wäre das erste Mal, dass eine Geschworenenjury diese Wahrheit zu hören bekäme.
Im Vertrauen auf Ihre richterliche Unabhängigkeit bitten wir Sie deshalb ausdrücklich darum, sich dieses Falles vor dem Hintergrund der oben erwähnten Befürchtungen mit aller gebotenen Sorgfalt anzunehmen.
Hochachtungsvoll
Aydin, Hüseyin, MdB * Bartsch, Dietmar, Dr., MdB * Binder, Karin, MdB * Bisky, Lothar, Prof. Dr., MdB * Bluhm, Heidrun, MdB * Bulling-Schröter, Eva, MdB * Bunge, Martina, Dr., MdB * Claus, Roland, MdB * Dagdalen, Sevim, MdB * Dehm, Diether, Dr., MdB * Dreibus, Werner, MdB * Enkelmann, Dagmar, Dr., MdB * Ernst, Klaus, MdB * Gehrcke, Wolfgang, MdB * Golze, Diana, MdB * Gysi, Gregor, Dr., MdB * Hänsel, Heike, MdB * Heilmann, Lutz, MdB * Hill, Hans-Kurt, MdB * Hirsch, Cornelia, MdB * Höger, Inge, MdB * Höll, Barbara, Dr., MdB * Jelpke, Ulla, MdB * Jochimsen, Lukrezia, Dr., MdB * Keskin, Hakki, Prof. Dr., MdB * Kipping, Katja, MdB * Knoche, Monika, MdB * Korte, Jan, MdB * Kunert, Katrin, MdB * Lafontaine, Oskar, MdB * Leutert, Michael, MdB * Lötzer, Ulla, MdB * Lötzsch, Gesine, Dr., MdB * Maurer, Ulrich, MdB * Menzner, Dorothée, MdB * Möller, Kornelia, MdB * Naumann, Kersten, MdB * Nescovic, Wolfgang, MdB * Paech, Norman, Prof. Dr., MdB * Pau, Petra, MdB * Ramelow, Bodo, MdB * Reinke, Elke, MdB * Schäfer, Paul, MdB * Schneider, Volker, MdB * Schui, Herbert, Prof. Dr., MdB * Seifert, Ilja, Dr., MdB * Sitte, Petra, Dr., MdB * Spieth, Frank, MdB * Tackmann, Kirsten, Dr., MdB * Troost, Axel, Dr., MdB * Ulrich, Alexander, MdB * Wunderlich, Jörn, MdB * Zimmermann, Sabine, MdB
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