junge Welt Nr. 116 vom 21. Mai 2007
Am Donnerstag, den 17. Mai, fand vor dem 3. Bundesberufungsgericht in Philadelphia eine Anhörung darüber statt, ob Mumia Abu-Jamal ein neuer Prozeß gewährt wird. Amy Goodman und Juán Gonzales, Gründer und Moderatoren des New Yorker Radioprogramms »Democracy Now!«, das über das Pacifica Radio Network und das National Public Radio landesweit in den USA ausgestrahlt wird, sprachen einen Tag nach der Anhörung mit Abu-Jamals Hauptverteidiger Robert R. Bryan.
Mr. Bryan, was genau hat sich am Donnerstag vergangener Woche vor dem 3. Bundesberufungsgericht in Philadelphia zugetragen?
In der mehr als zweistündigen Anhörung konnten wir vor den drei Berufsrichtern unsere schriftlich vorliegenden Berufungsanträge mündlich begründen und von den Richtern dazu befragt werden. Dieses Gericht ist das zweithöchste gleich nach dem Obersten Gerichtshof der USA. Die Richter schienen unseren Argumenten mit Interesse zu folgen. Es ging dabei vor allem um das Todesurteil als solches, um rassistische Motive bei der Auswahl der Geschworenen im Prozeß 1982 und um das rassistische Verhalten und die Vorurteile des Prozeßrichters Albert Sabo.
Worum ging es im wesentlichen?
Angesichts der Vehemenz, mit der die Staatsanwaltschaft die Hinrichtung meines Mandanten durchsetzen will, ist gerade eine Frage von großem Interesse: die Rechtsbrüche der Anklage und ihre Verstöße gegen die Verfassung. In der Anhörung ging es deshalb zu etwa 20 Prozent um das Todesurteil und zu 80 Prozent um den Vorwurf des Rassismus gegen die Bezirksstaatsanwaltschaft von Philadelphia. Und nach über dreißig Jahren, die ich nun mit Todesstrafenfällen befaßt bin, kann ich rückblickend sagen, daß die Anhörung beispiellos war. Diese drei Richter, von denen wir natürlich noch nicht wissen, wie sie letztendlich entscheiden werden, waren über den Rassismus im Verfahren gegen meinen Mandanten erkennbar tief besorgt. Das war deutlich zu sehen.
Sie werfen der Justiz in Philadelphia vor, im ursprünglichen Prozeß von 1982 gezielt schwarze Jurykandidaten von der Verhandlung ausgeschlossen zu haben. Warum ist dieser Punkt so wichtig?
Der Oberste Gerichtshof der USA hat gerade in dieser Frage in den letzten Jahren klar Stellung bezogen. 1986 gab es das erste Grundsatzurteil, wonach rassistische Motive bei der Geschworenenauswahl einen Verstoß gegen die US-Verfassung darstellen. Und in Abu-Jamals Fall hat Staatsanwalt McGill mit Zweidrittel seiner zulässigen Einsprüche afroamerikanische Juroren abgelehnt und nur in 20 bis 25 Prozent weiße. Es gibt statistische Erhebungen, die dokumentieren, daß die Bezirksstaatsanwaltschaft von Philadelphia in den 1980er Jahren und davor in allen untersuchten Fällen genauso verfahren ist. Deshalb habe ich gestern vor den Richtern die zentrale Frage aufgeworfen, ob Rassismus - Rassismus im Amt - in diesem Fall eine Rolle gespielt hat. Hoffen wir, daß die Richter diese Frage wie wir mit einem klaren Ja beantworten.
Hugh Burns, der stellvertretende Bezirksstaatsanwalt, vertrat während der Anhörung die Meinung, Bundesrichter William Yohn habe eine Fehlentscheidung getroffen, als er im Dezember 2001 das Todesurteil gegen Abu-Jamal in lebenslange Haft umwandelte. Er hätte sich laut Burns der Entscheidung des Obersten Gerichtshofs von Pennsylvania anschließen müssen, der bereits vor Jahren festgeschrieben hatte, es habe 1982 keine fehlerhafte Rechtsbelehrung der Geschworenen gegeben. Können Sie das näher erläutern? Außerdem denken ja viele, Abu-Jamal sei immer noch im Todestrakt.
Das stimmt aber. Er ist immer noch im Todestrakt! Er befindet sich dort in einer Zelle, die kleiner ist als die meisten Badezimmer. Und dort schreibt er seine Kolumnen, was phänomenal ist und worüber man ausführlicher sprechen sollte. Aber zu Ihrer Frage: Bundesrichter Yohn hat 2001 das Urteil umgewandelt, weil nach seinen Feststellungen der Prozeßrichter Albert Sabo das Todesurteil durch mißbräuchliches Vorgehen erreicht hat. Sabo hat die Jury, bevor sie sich zur Beratung zurückzog, instruiert, sie könne in ihrem Urteil ausschließlich die Todesstrafe aussprechen, es sei denn, alle Geschworenen kämen einstimmig zu dem Schluß, daß bestimmte Umstände ein milderes Urteil erforderten. Nach dieser Belehrung mußten die Geschworenen der Meinung sein, ein Todesurteil nur durch einstimmig beschlossene Einwände abwenden zu können. Das ist aber kompletter Unsinn und widerspricht Grundsatzurteilen des Obersten Gerichtshofs der USA. Deshalb entschied Bundesrichter Yohn, damals das Todesurteil aufzuheben, und ordnete an, daß eine neue Jury über die Frage von Leben und Tod zu entscheiden habe. Die Anklage ging sofort dagegen in Berufung, weshalb das Todesurteil weiterhin Bestand hat, und mein Mandant bis heute in der Todeszelle sitzt.
Wie war der Verlauf der Anhörung am Donnerstag?
Staatsanwalt Burns durfte als Erster sprechen, weil er 2001 auch zuerst Berufung eingelegt hatte. Die Bundesrichter unterbrachen ihn mehrfach, und es war ihnen anzumerken, daß es für sie unbegreiflich war, wie jemand der Meinung sein kann, daß das, was Richter Sabo damals im Prozeß gemacht hatte, in Einklang mit der US-Verfassung steht. Nach Burns haben wir, die Verteidigung, unsere Berufungsgründe erläutert. Uns geht es natürlich darum, daß unser Mandant nicht hingerichtet wird. Wir wollen einen neuen Prozeß für ihn und in diesem neuen Verfahren kann er nur freigesprochen werden. Ich möchte, daß er nach 25 Jahren endlich wieder zu seiner Familie nach Hause zurückkehren kann.
Wann rechnen Sie mit einer Entscheidung des Gerichts?
In den nächsten Monaten, aber es gibt leider keine Anhaltspunkte dafür, das genauer vorauszusagen. Ich schätze, daß es 45 bis 90 Tage dauern wird. Lassen Sie mich in diesem Zusammenhang noch erwähnen, daß gestern abend etwas passiert ist, das ich in all den Jahren in Hunderten von Todesstrafenverfahren noch nie erlebt habe: Das Gericht hat mir gestern abend eine E-mail geschickt und mich gebeten, ein Transkript des Verhandlungsverlaufs der Anhörung zu beantragen. Es macht einen großen Unterschied, daß das gestern kein Prozeß vor einer Jury war, sondern eine mündliche Anhörung vor drei Bundesrichtern. Es ist völlig ungewöhnlich, daß nach einer Anhörung eine Niederschrift angefertigt wird. Die Richter wollen sich nun anscheinend durch meinen Antrag, zu dem sie mich aufgefordert haben, die Handhabe zur Anfertigung einer Niederschrift verschaffen und sich so selbst in die Lage versetzen, genau nachlesen zu können, was wir Verteidiger vorgetragen haben.
Ist es nicht genauso ungewöhnlich, daß die Richter der schwarzen Bürgerrechtsorganisation NAACP gestattet haben, in der Anhörung ihre bereits vor Monaten schriftlich bei Gericht eingereichte Petition, in der sie ein neues Verfahren für Mumia fordern, mündlich zu begründen?
Ja, sicher. Sie müssen wissen, daß ich nach Übernahme des Falles vor etwa viereinhalb Jahren sofort Kontakt zum NAACP Legal Defense Fund in New York aufgenommen habe, weil diese Organisation für ihre außerordentlich gute Arbeit bekannt ist, insbesondere in Fällen mit rassistischen Motiven bei der Geschworenenauswahl. Christine Swarns hatte also gestern Gelegenheit, vor Gericht für die NAACP zu sprechen. Das Gericht war meinem Antrag gefolgt und hatte ihr einige Minuten meiner Redezeit gewährt. Nach mir sprach meine Mitverteidigerin Judith Ritter, eine Jura-Professorin, die sich völlig auf die Frage der Todesstrafe konzentrierte. Dann sprach die NAACP-Vertreterin, und ich rundete die Sache schließlich ab und sprach ein zweites Mal. Für uns war es grandios, daß Christine Swarns sprechen durfte, und für uns zeigt sich daran die ernsthafte Besorgnis, mit der das Gericht an den Fall herangeht. Sie scheinen den Fall von allen Seiten beleuchten zu wollen, um am Ende die richtige Entscheidung zu treffen.
Konnte Mumia Abu-Jamal der Anhörung beiwohnen?
Nein, leider nicht, weil das nur eine Anhörung war und kein Prozeß.
Weiß er, was in der Anhörung passiert ist?
Ja, ich habe gestern abend lange mit ihm telefoniert. Sein Kommentar dazu war: »Robert, du kennst meine Haltung dazu. Die Leute sollen begreifen, daß es bei der Sache nicht um mich geht. Hier geht es um alle Gefangenen in den Todestrakten dieser Welt. Es geht um alle politischen Gefangenen dieser Welt. Und ich hoffe, daß eine positive Entscheidung in meinem Fall auch anderen helfen wird.« Dieser bescheidene Kommentar ist typisch für Mumias Haltung.
Was kann der Fall Ihres Mandanten Ihrer Meinung nach bewirken, wenn wir dabei die de facto Nachrichtensperre in den kommerziellen Medien in Betracht ziehen?
Die Berichterstattung in den kommerziellen Medien war in der Vergangenheit sehr unterschiedlich. Ich habe mein Mögliches dafür getan, den Fall öffentlich zu machen und unsere Sicht des Falls zu verbreiten. Die Welt schaut auf diesen Fall. In Europa habe ich bei verschiedenen Gelegenheiten in Paris und in anderen französischen Städten gesprochen. Ich habe in England und auch in Deutschland gesprochen, zuletzt im Januar vor zweitausend Leuten auf der Berliner Rosa-Luxemburg-Konferenz. Nach meinen Vorträgen gab es immer stehenden Beifall, aber nicht wegen mir oder wegen Mumia Abu-Jamal. Es zeigt sich an diesen Reaktionen, daß die Weltöffentlichkeit begriffen hat, daß Mumia ein Symbol ist für den Kampf zur Abschaffung der Todesstrafe.
(Übersetzung: Jürgen Heiser)