»Rassismus bestimmte Mumias Prozeß«

01.02.07 (von ivk) Robert R. Bryan (San Francisco) nach der XII. Rosa-Luxemburg-Konferenz (13. Januar 2007) im Gespräch über das Berufungsverfahren für Mumia Abu-Jamal und den Weltkongreß gegen die Todesstrafe in Paris (1.-3. Februar 2007). Das Gespräch war bereits am 31. Januar 2007 geringfügig gekürzt in der Beilage der jungen Welt mit den Beiträgen der XII. Rosa-Luxemburg-Konferenz abgedruckt

Robert R. Bryan ist seit über 30 Jahren Fachanwalt für die Todesstrafe und lebt in San Francisco, Kalifornien. Seit dem Frühjahr 2003 vertritt er Mumia Abu-Jamal als Hauptverteidiger. Von 1987 bis 1990 war er Vorsitzender der Nationalen Koalition zur Abschaffung der Todesstrafe in den USA und gründete mit Angela Davis das Internationale Komitee zur Abschaffung der Todesstrafe (ICDAP). Beim Weltkongreß gegen die Todesstrafe vom 1. bis 3. Februar in Paris leitet er das Podium zu Mumia Abu-Jamal (Infos dazu weiter unten auf dieser Website www.freedom-now.de).

Am 13. Januar 2007 war Mumia Abu-Jamal zum zehnten Mal auf der XII. Rosa-Luxemburg-Konferenz durch einen Beitrag präsent; Sie haben zum ersten Mal auf dieser Konferenz gesprochen. Welche Eindrücke nehmen Sie mit zu Ihrem Mandanten in den Todestrakt?

Ich bin begeistert von dieser Konferenz. Es war wunderbar zu sehen, daß so viele Linke unter einem Dach zusammenkommen. Für mich und meinen Mandanten ist wichtig, daß eines der Basisprinzipien der in Berlin Versammelten der Kampf zum Schutz der Menschenrechte ist. Wir brauchen revolutionäre Veränderungen, diese Welt muß eine bessere werden, und hier waren so viele Gleichgesinnte zusammengekommen, das ist großartig! Für mich war die Rosa-Luxemburg-Konferenz wirklich eine Inspiration. Für mich als Mumia Abu-Jamals Verteidiger war sie ungeheuer wichtig, weil wir es mit einem sehr komplizierten Fall zu tun haben und die Unterstützung der Solidaritätsbewegung brauchen. Ich kämpfe gegen eine Justiz, die meinen Mandanten umbringen will. Ich habe seit dreißig Jahren nichts anderes gemacht als in Todesstrafenverfahren zu verteidigen und auf politischer Ebene gegen die Todesstrafe zu kämpfen. Aber in keinem anderen Fall habe ich erlebt, daß die staatlichen Behörden derart aggressiv vorgehen. Der Grund ist natürlich, daß Mumia politisch agiert, daß er schwarz ist und ein kritischer Journalist, der seine Meinung frei äußert.
Es war ein überwältigendes Gefühl, auf der Konferenz nach und nach feststellen zu können, wie sehr die Teilnehmer um meinen Mandanten besorgt sind und daß sie sich wie er für die Menschenrechte einsetzen und gegen politische Unterdrückung kämpfen. Das ist ermutigend. Und genau das werde ich Mumia als Eindruck von dieser Konferenz mitbringen. Und ich hoffe, daß ich in einem Jahr zurückkehren und der nächsten Konferenz gute Nachrichten überbringen kann.

Die junge Welt vom 30. Dezember 2006 enthielt einen Artikel von Dave Lindorff aus Philadelphia (siehe hier auf dieser Website), der ausführlich darlegt, was juristisch auf der Ebene der US-Bundesgerichte in diesem Jahr geschehen wird. Viele Leser fragen sich, ob es nach 25 Jahren überhaupt noch die Chance gibt, in einem neuen Prozeß neue Unschuldsbeweise vorzubringen.

Wir brauchen jetzt noch keine neuen Beweise. Im anstehenden nächsten juristischen Schritt vor dem 3. Bundesberufungsgericht haben wir nun ein Jahr lang Anträge gestellt und die Staatsanwaltschaft hat darauf erwidert. Diese Prozedur ist nun abgeschlossen. Wir erwarten in den nächsten Wochen die Ladung zu einer gerichtlichen Anhörung, in der wir unsere Anträge vor dem dreiköpfigen Bundesrichtergremium mündlich begründen und von den Richtern befragt werden können. Dabei geht es jetzt um die drei Hauptpunkte, warum das Verfahren von 1982, in dem mein Mandant zum Todes verurteilt wurde, gegen die Verfassung verstößt: erstens rassistische Motive bei der Geschworenenauswahl, zweitens rassistisches Verhalten der Anklage und des vorsitzenden Richters im Prozeß und schließlich drittens die Todesstrafe. Dave Lindorff hat das in seinem Artikel sehr gut erklärt. Neue Beweismittel werden wir erst in einem neuen Prozeß präsentieren und nicht vorher. Wir werden unser Pulver nicht zu früh verschießen. Wir verfügen über neue Unschuldsbeweise, die von gravierender Bedeutung sind. Wenn es einen neuen Prozeß gibt, dann wird Mumia Abu-Jamal am Ende das Gefängnis als freier Mann verlassen!

Zur Verdeutlichung: Vor dem Bundesberufungsgericht geht es jetzt nicht um neue Sachbeweise, richtig?

Vor dem Bundesberufungsgericht ist es uns sogar untersagt, neue Sachbeweise oder Zeugen vorzubringen, es geht dort einzig und allein um die Frage, ob Mumia Abu-Jamal 1982 einen fairen Prozeß hatte oder nicht, ob also seine in der US-Verfassung garantierten Rechte verletzt wurden. Erst wenn die Bundesrichter diese Frage bejahen und einen neuen Prozeß anordnen, wird es auch eine neue Beweisaufnahme geben.

Im Dezember 2006 hat Gouverneur Jeb Bush in Florida ein Moratorium über die Todesstrafe verhängt, weil der Gefangene Angel Diaz qualvoll unter der Giftspritze gestorben ist. Kann das einen positiven Einfluß auf die anstehende Entscheidung des Bundesberufungsgerichts haben?

Nein, sicher nicht, denn in Florida geht es nicht darum, daß der Staat nicht mehr länger seine eigenen Bürger umbringt, es geht vielmehr darum, wie er sie umbringt. Das hat nichts mit dem generellen Unrecht der Todesstrafe zu tun, sondern damit, wie das Töten mit der Giftspritze effektiver durchgeführt werden kann.. Das ist alles. Jeb Bush ist wie sein Bruder George W. Bush einer der größten Befürworter der Todesstrafe. Er will sie »sauberer« durchführen. Ich sage extra nicht »humaner«, weil das ein Widerspruch in sich selbst ist. Aber diese Entwicklungen haben jetzt keinerlei Einfluß auf Mumias Fall, bestenfalls auf die allgemeine Diskussion über die barbarische Todesstrafe.

Wie sieht es mit dieser gesellschaftlichen Debatte aus? Die Demokraten sind jetzt Mehrheitsführer im US-Kongreß und haben im Wahlkampf von John Kerry 2004 die allgemeine Forderung nach der Todesstrafe aus ihrem Wahlprogramm gestrichen - nach Jahrzehnten der ausdrücklichen Befürwortung. Stärkt das die Gegner der Todesstrafe?

Ja. Es gibt heute in den USA ein stärkeres Problembewußtsein hinsichtlich der Todesstrafe bis in die etablierten Parteien hinein. Es war der Republikaner George H. Ryan, der als Gouverneur des Bundesstaates Illinois ein Moratorium über die Todesstrafe verhängte und den einzigen Todestrakt in Chicago schloß, weil er die »Unberechenbarkeit« der Todesstrafe erkannt hatte. Die Zweifel an der Todesstrafe sind heute stärker als noch vor vielen Jahren. Das letzte Mal, daß es vergleichbare Zweifel an der Rechtmäßigkeit und ethischen Vertretbarkeit der Todesstrafe gab, war Anfang der 1970er Jahre. 1972 wurde die Todesstrafe durch eine Grundsatzentscheidung des Obersten Bundesgerichts der USA im Fall Furman versus Georgia als »grausame und ungewöhnliche« Art der Bestrafung für vier Jahre abgeschafft. Heute wächst die Ablehnung der Todesstrafe wieder, auch wenn sie noch nicht so stark ist wie damals.

Was hat zum Anwachsen der aktuellen Ablehnung geführt?

Es sind sehr viele Fälle von Todeskandidaten bekannt geworden, die hingerichtet wurden und deren Unschuld sich erst später herausgestellt hat. Es ist unvermeidlich in der Prozedur der Todesstrafe, daß Unschuldige hingerichtet werden. Und dann ist es für die Rehabilitierung zu spät. Sie sind tot. Mittlerweile steigt die Zahl derjenigen, deren Unschuld glücklicherweise noch vor ihrer Hinrichtung bewiesen werden konnte. Es sind seit Wiedereinführung der Todesstrafe im Jahr 1976 schon weit über 120 Fälle. Manchmal kamen sie erst nach jahrzehntelangem Schmoren in der Todeszelle wieder frei.

Wenn diese Entwicklungen jetzt keinen unmittelbaren Einfluß auf Abu-Jamals Verfahren haben, was könnte dann einen Einfluß ausüben?

Wenn sich namhafte Juristen mit einer Petition für einen neuen und fairen Prozeß an das zuständige US-Bundesgericht wenden, wie es über 150 Londoner Rechtsanwälte im Sommer 2006 getan haben. Wenn sich also beispielsweise deutsche Parlamentarier mit einer vergleichbaren Erklärung an die Bundesrichter wenden würden, wäre das sehr hilfreich. Oder wenn P.E.N.-Zentren oder Schriftsteller- und Journalistenverbände so einen Schritt machen würden, hätte das ganz sicher großen Einfluß auf die anstehende Entscheidung. Solche Stellungnahmen von glaubwürdigen Organisationen und Institutionen könnten sich sehr positiv auswirken, wenn sie die Fairneß des ursprünglichen Verfahrens in Frage stellen und den Rassismus in diesem Fall kritisieren. Gerade wenn die Frage des Rassismus angesprochen wird, fühlen sich Verantwortliche in den USA äußerst unwohl, denn wir blicken in dieser Frage auf eine lange und leidvolle Geschichte zurück. Und in Mumias Fall hat der Rassismus nicht nur seinen damaligen Prozeß und das Todesurteil bestimmt, sondern auch unsere Bemühungen seit zwölf Jahren, die Wiederaufnahme des Verfahrens zu erreichen.

Die internationale Solidaritätsbewegung sollte also nicht darauf warten, daß sich das Problem Todesstrafe innerhalb der USA von alleine löst, sondern von außen Druck ausüben?

Ja, absolut. Internationaler Druck von Basisbewegungen, verstärkt durch glaubwürdige Kräfte wie Parlamentarier und namhafte Juristen wie die Anwälte aus England, das hätte ein großes Gewicht in der Frage der Todesstrafe und ob jemand wie Mumia Abu-Jamal aus rassistischen Gründen hingerichtet wird. Wir dürfen dabei nicht vergessen, daß Mumia ein Symbol ist. Er steht für die vielen Tausenden und Abertausenden nicht nur in den USA, sondern in den Todestrakten überall auf der Welt. Ein Sieg in seiner Sache wäre auch ein Sieg für all die anderen. Er ist schwarz, er ist ein Journalist, er ist ein Revolutionär, was eigentlich kein Verbrechen ist, aber deswegen sitzt er im Todestrakt und nicht wegen des vorgeschobenen Polizistenmordes, den er nachweislich nicht begangen hat. Das ist die Situation vieler Gefangener, vieler politischer Gefangener überall auf der Welt, von denen nicht wenige auch in Todeszellen sitzen - Männer wie Frauen, deren Menschenrechte verletzt werden. Das ist der Grund, warum wir heute in den Straßen vieler Länder auf Plakate stoßen, die Mumias Konterfei zeigen. Er ist ein Symbol für die Armen, die für soziale Gerechtigkeit kämpfen, und für die, deren Länder von Kriegen verwüstet werden.

Vom 1. bis 3. Februar 2007 tagt in Paris der Weltkongreß gegen die Todesstrafe. Es finden dort acht Podien zu Einzelaspekten der Todesstrafe statt. Ein Podium, das Sie leiten werden, wird sich speziell mit dem Fall ihres Mandanten befassen. Welche Bedeutung hat dieser Kongreß für seine Befreiung?

Der Weltkongreß gegen die Todesstrafe tagt alle zwei Jahre. Der erste fand in Straßburg statt, der zweite 2005 im kanadischen Montréal, der dritte nun in Paris. Daß der Weltkongreß dem Fall Mumia Abu-Jamal im globalen Kampf gegen die Todesstrafe eine besondere Bedeutung beimißt, hat enorme Auswirkungen auf unsere Bemühungen, einen neuen Prozeß durchzusetzen, das Todesurteil zu Fall zu bringen und die Freiheit meines Mandanten zu erkämpfen. Der Weltkongreß ist eine angesehene Organisation, die als Dachorganisation alle für die Abschaffung der Todesstrafe eintretenden Initiativen und Organisationen dieser Welt vertritt. Wenn die Leitung des Kongresses nun anerkennt, daß der Fall meines Mandanten von außerordentlicher symbolhafter Bedeutung ist, dann wird das natürlich Konsequenzen haben. Wenn die Bundesrichter in Philadelphia demnächst den Fall beurteilen, ist die Atmosphäre, in der eine solche Entscheidung gefällt wird, von großer Bedeutung. Deshalb wird die Behandlung von Mumias Fall auf der Tagung des Pariser Weltkongresses einen positiven Effekt haben. In den Gremien des Weltkongresses sind sogar Vertreter von Regierungen tätig, die auf eine generelle Abschaffung der Todesstrafe hinwirken, deshalb hat die Adaption des Falles großes Gewicht.

Welche Perspektive sieht Mumia Abu-Jamal für sich und seinen Fall?

Mumia ist sehr realistisch. Unabhängig davon, wie gut unsere Arbeit als Verteidiger ist, kann er verlieren, weil das Justizsystem in den USA ungerecht ist. Ihm ist bewußt, daß er möglicherweise hingerichtet wird. Gleichzeitig ist er sehr optimistisch, daß wir obsiegen werden. Er hat die Hoffnung, durch einen Sieg in seinem Fall einen Vorteil für die Sache der politischen Gefangenen und zum Tode Verurteilten nicht nur in den USA zu erreichen. Mumia erinnert mich immer wieder daran, daß sein Fall nicht nur mit ihm zu tun hat, sondern mit Menschen, deren Rechte mißachtet werden, überall auf der Welt. Mumia will natürlich nicht sterben, ihm geht es in einem sehr positiven, revolutionären Sinne darum, die Welt zu verändern und in einen Ort zu verwandeln, an dem Menschenrechtsverletzungen wie im US-Gefangenenlager Guantánamo, in den Folterkammern Saudi Arabiens oder in den Todeszellen in China endlich beendet werden. Genau darum geht es in dem Kampf, den mein Mandant von der Todeszelle aus führt.
Interview und Übersetzung: Jürgen Heiser


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Stand: 24.11.2024 um 07:42:07 Uhr