(Der folgende Artikel wurde auf der »Schwerpunkt«-Seite 3 in der jungen Welt Nr. 288 vom 10./11. Dezember 2005 veröffentlicht)
In den Fall Mumia Abu-Jamal ist Bewegung gekommen. Wie Robert R. Bryan aus San Francisco, Rechtsanwalt des 1982 zum Tode Verurteilten, dessen Haftzeit an diesem Wochenende ins 25. Jahr geht, junge Welt mitteilte, »hat die Berufungsinstanz des 3. Bundesbezirksgerichts am Dienstag einen für meinen Mandanten höchst wichtigen Beschluß gefaßt«. Danach sind aus dem Katalog der 29 Beschwerdegründe, mit denen die Verteidigung im Berufungsantrag für das Wiederaufnahmeverfahren Verfassungsverstöße gerügt hat, drei zugelassen worden. Ein künftiges Urteil vor dem Berufungsgericht setzt diese »Zertifizierung« der Beschwerdegründe voraus. Mit dem Beschluß legt das Gericht allerdings nur fest, daß es diese drei Punkte zur weiteren Verhandlung zuläßt, um sie abschließend zu bewerten.
Rassistische Jury
Warum sitzt Mumia Abu Jamal, junge-Welt-Kolumnist seit 2000, im Todestrakt? Am 9. Dezember 1981 wollte der damals schon über seine Heimatstadt Philadelphia hinaus bekannte Journalist seinem Bruder beistehen, der auf offener Straße von einem Polizisten mißhandelt wurde. Es fielen Schüsse, Abu-Jamal ging schwerverletzt zu Boden, der Polizist Daniel Faulkner starb. Der Schütze floh unerkannt. Sofort erklärten Polizei und Staatsanwaltschaft den ehemaligen Black Panther und stadtbekannten Polizeikritiker Mumia Abu-Jamal zum Täter, obwohl der seine Unschuld beteuerte. Ein halbes Jahr später, am 3. Juli 1982, wurde Abu-Jamal nach kurzem Prozeß, der von einer fast weißen Jury und einem rassistischen Richter geprägt war, zur Höchststrafe verurteilt, zum Tode. Der unerfahrene Pflichtverteidiger hatte dem nichts entgegenzusetzen. Wie Abu-Jamals Wahlverteidiger später nachgewiesen haben, war das Urteil nur möglich, weil die Polizei belastende Aussagen erpreßt hatte. Erst seit 1992 wurde Abu-Jamal durch dieses Team von Wahlverteidigern vertreten, das seit 1995 für die Wiederaufnahme des Verfahrens kämpft. Nach Ablehnungen vor den Staatsgerichten Pennsylvanias und der untersten Bundesgerichtsebene befindet sich die Sache seit Anfang 2002 in der Berufungsinstanz vor dem 3. Bundesbezirksgericht in Philadelphia.
Dessen jüngste Entscheidung hat es in sich. Der erste sogenannte zertifizierte Berufungsgrund (laufende Nr. 14) bezieht sich auf das Zustandekommen des von der Jury gefaßten Schuldspruchs. Staatsanwalt Joseph McGill hatte in seinem Plädoyer die Zweifel einzelner Geschworener an der Schuld des Angeklagten beschwichtigt, indem er betonte, Abu-Jamal könne nach dem Urteil »Berufung nach Berufung« einlegen und seine Unschuld immer noch beweisen. Die Geschworenen fühlten sich dadurch entlastet und verhängten einstimmig die Todesstrafe. Juristisch war mit McGills Behauptung das Prinzip »im Zweifel für den Angeklagten« auf den Kopf gestellt. Und den Geschworenen war die Möglichkeit genommen, die Zweifel zum Anlaß zu nehmen, kein Urteil zu fällen, was zur Neuwahl einer Jury und einem neuen Prozeß geführt hätte.
Punkt zwei (laufende Nr. 16) berührt die Tatsache, daß die Staatsanwaltschaft bei der Wahl der Geschworenen 1982 afroamerikanische Kandidaten aus rassistischen Motiven abgelehnt hat, um die zwölfköpfige Jury mehrheitlich mit Weißen und Todesstrafenbefürwortern zu besetzen und so den Schuldspruch abzusichern.
Punkt drei (laufende Nr. 29) betrifft das voreingenommene und rassistische Verhalten des Richters Albert Sabo, der nicht nur 1982 den Vorsitz im Prozeß innehatte, sondern 1995 auch in erster Instanz das Wiederaufnahmeverfahren ablehnte. Das 3. Bundesbezirksgericht hat die Überprüfung der Verfassungskonformität seines Verhaltens allerdings auf die Verhandlung über den Wiederaufnahmeantrag im Jahr 1995 beschränkt. Damit wird es leider nicht mehr möglich sein, Sabos durchgängigen Rassismus im Prozeß von 1982 zum Thema zu machen. Bezeichnend ist beispielsweise sein Ausspruch, den eine Gerichtsstenographin vor dem Gerichtssaal gehört und später bezeugt hat: »Ich werde dabei helfen, den Nigger zu grillen.«
Fall kommt in Fahrt
Mit der Zertifizierung der drei Beschwerdegründe sind zwar die 26 übrigen von jeder weiteren gerichtlichen Erörterung ausgeschlossen, aber die Entscheidung hätte auch lauten können, daß keine der 29 Verfassungsrügen zugelassen wird. Das hätte angesichts der bisherigen generellen Ablehnung aller Verteidigeranträge nicht verwundert. Bevor das 3. Bundesbezirksgericht in den nächsten Monaten abschließend entscheidet, gibt es der Verteidigung bis zum 17. Januar 2006 Gelegenheit, Schriftsätze mit ergänzenden Erläuterungen einzureichen. Auch die Staatsanwaltschaft hat ab dann noch 30 Tage Frist, Gegenvorstellungen zu erläutern.
Das zu erwartende Urteil des 3.Bundesbezirksgerichts kann in der Konsequenz einen neuen Prozeß für Mumia Abu-Jamal und seine mögliche Freilassung bedeuten. Es kann aber auch die Umwandlung in lebenslange Haft oder die Bestätigung des Todesurteils bringen. Rechtsanwalt Bryan ist zuversichtlich, nennt aber die Grundvoraussetzung für Leben und Freiheit seines Mandanten: »Der Fall kommt damit in Fahrt, wie ich es vorausgesagt habe. Wir haben mit der Zulassung der Berufungsgründe einen bedeutenden Teilsieg in unserem Kampf für einen neuen Prozeß und zur Erlangung von Mumias Freiheit errungen. Aber mehr denn je kommt es jetzt auf die Unterstützung und das Handeln der Solidaritätsbewegung an!«
Jürgen Heiser
Weitere Informationen: www.mumia.org