»Die Hoffnung, Todeskandidaten zu helfen«

02.03.05 (von jw) Hauptverteidiger von Mumia Abu-Jamal beendet Besuch in Deutschland. Warnung vor »repressiver Stimmung« in den USA. Ein Gespräch mit Robert R. Bryan, der Mumia Abu-Jamal seit Anfang 2003 als Hauptanwalt bei der Durchsetzung des Wiederaufnahmeverfahrens vor US-Bundesgerichten vertritt. Bryan lebt und arbeitet in San Francisco

F: Mumia Abu-Jamal sitzt seit 24 Jahren in Haft, 23 Jahre davon in der Todeszelle. In westlichen Regimen kann sich ein Strafgefangener in der Regel bewähren und, gutes Verhalten vorausgesetzt, auf seine Freilassung hoffen. Wie sieht das im Fall Ihres Klienten aus?

A: In den USA ist das ausgeschlossen. Ein Gefangener in der Todeszelle kann niemals auf eine Amnestie hoffen. Egal ob er sich gut verhält oder nicht: Dieser Mensch wird im Gefängnis sterben. In diesem Punkt unterscheiden sich unsere Strafsysteme erheblich, das der USA und diejenigen Europas. Wir haben eben nie die Lehren aus der
Geschichte gezogen, wie das im Falle Deutschlands oder der anderen europäischen Staaten nach dem Zweiten Weltkrieg der Fall war.

F: Eine Amnestie ist also ausgeschlossen?

A: Mumia Abu-Jamal wird entweder hingerichtet oder er erhält ein neues Verfahren.

F: Sie bezeichnen diese lange Haftzeit - über zwei Jahrzehnte in der Todeszelle - als Folter. Existiert in den USA eine Debatte über diese perversen Auswüchse des Strafsystems?

A: Die gesamten Umstände der Haft sind ein Hauptargument der Bewegung zur Abschaffung der Todesstrafe in den USA. Es wird massiv kritisiert, daß der Staat einen Menschen in die Todeszelle steckt und ihm sagt: »Wir werden dich töten!«. Dieser Mensch weiß jedes Detail über seine geplante Hinrichtung - nur nicht, wann es
geschehen wird. Das ist schlicht sadistisch. Ich mußte im Laufe meiner Arbeit Menschen kennenlernen, die in dieser Situation verrückt geworden sind. Es gab viele solcher Fälle, besonders in Kalifornien, wo ich praktiziere. Dieser Staat hat schließlich die proportional höchste Anzahl an Todeskandidaten, zur Zeit sind es
etwa 630.

F: Welche Rolle spielt der Fall Mumia Abu-Jamals in der Bewegung gegen die Todesstrafe?

A: Mumia wird ja mitunter als die »Stimme der Unterdrückten« bezeichnet. Und tatsächlich ist es sein Anliegen, mit seinen Radiokommentaren die Menschen außerhalb der Gefängnismauern gegen die Todesstrafe zu mobilisieren. Er hat immer die Hoffnung gehabt, daß über seine Person den vielen anderen Todeskandidaten geholfen werden kann. Er weist in seinen Kolumnen wieder und wieder darauf hin, daß Rassismus immer noch ein inhärentes Problem der US-Justiz ist.

F: Im Rahmen der internationalen Bewegung für die Freilassung von Mumia Abu-Jamal wollen Sie vermehrt Personen aus dem öffentlichen Leben einbinden. Mit welchem Ziel?

A: Wir wollen die Menschen natürlich über die Todesstrafe und den Rassismus im Strafsystem informieren. In gewisser Weise orientieren wir uns dabei an der Kampagne zur Freilassung von Angela Davis. Schließlich hat die massive öffentliche Unterstützung damals dazu geführt, daß Gericht und Jury die zunächst unnachgiebige Position überdacht haben. Angela war eine radikale schwarze Aktivistin, und sie war Kommunistin. Aber am Ende wurde sie vom Gericht akzeptiert. Dahin müssen wir in Mumias Fall auch kommen.

F: ... um der negativen Propaganda von staatlicher Seite etwas entgegenzusetzen. Immerhin wird Mumia Abu-Jamal nach wie vor als Polizistenmörder diffamiert?

A: Es geht sogar über den Fall Jamal hinaus, in gewisser Weise ist die repressive Stimmung in den USA mit der Lage in den 20er oder 50er Jahren zu vergleichen, als Sacco und Vanzetti oder die Rosenbergs Opfer der politischen Justiz wurden. Das betrifft auch uns Juristen. Der Fall der New Yorker Kollegin Lynn Stewart, die wegen ihrer Kritik am Staat einem »Terrorismus«verfahren ausgesetzt war, ist sicher das prominenteste Beispiel. Die Bedrohung ist allgegenwärtig. Als ich Anfang vergangener Woche an einer deutschen Universität einen Vortrag hielt und mich kritisch zu George W. Bush äußerte, machte meine Frau mir aus dem Publikum Zeichen, ich solle mich zurückhalten. Sie hatte mich vorher schon gewarnt, daß ich auf eine schwarze Liste gesetzt werden könnte und mir die Wiedereinreise in die USA verwehrt wird. Ich kenne solche Fälle. Deswegen sage ich, obwohl ich diese Zeit zum Glück nie bewußt miterlebt habe, daß das politische Klima in den USA schlimmer ist als zur Zeit von Senator McCarthy und seiner Kommunistenjäger.

Interview: Harald Neuber


Ausdruck von: http://freedom-now.de/news/artikel297.html
Stand: 16.04.2024 um 19:44:12 Uhr