junge Welt Nr.240, 16./17. Oktober 2004
Wenn sich am Sonntag Hunderttausende in der US-Hauptstadt Washington versammeln, dann werden Gewerkschaftsmitglieder wie die vom Chicago-Kontingent des »Million Worker March« auch Transparente dabei haben, mit denen sie die sofortige Freilassung ihres Kollegen Mumia Abu-Jamal fordern. Der Ex-Black Panther, Radiojournalist und Buchautor hat zwar schon 23 Jahre seines 50jährigen Lebens im Todestrakt verbracht, aber er ist gut organisiert. Vor allem hat er sich weder durch das zu Unrecht gegen ihn ausgesprochene Todesurteil noch durch alltägliche Repressalien von seiner Kritik an den herrschenden Verhältnissen abbringen lassen. »Ich schreibe, um zu leben« hatte er 1995 seine Grußbotschaft an die Frankfurter Buchmesse geschlossen. Das war gleichsam sein Arbeitsmotto in der Zelle, wo er über 500 Beiträge verfaßt hat. 200 davon waren bis heute in ununterbrochener Reihenfolge jeden Samstag in junge Welt[1] zu lesen. Fast vier Jahre sind seit der ersten vom 16. Dezember 2000 vergangen, Jahre, in denen sich auf der juristischen Ebene für Abu-Jamal wenig bewegt hat, ganz im Gegensatz zu den Ereignissen, über die er schreibt.
Todesstrafe in Frage gestellt
Der folgenschwerste Einschnitt war sicher der 11. September 2001, von da an »lesen sich seine Texte wie die Kommentare eines Kriegsberichterstatters«, heißt es im Klappentext seines Buches »das imperium kennt kein gesetz «, in dem Kolumnen aus zwei Jahrgängen der jungen Welt versammelt sind. Seine erste Kolumne »Die wirkliche ›Verfassungskrise‹« befaßte sich mit dem »Wahlputsch« von George W. Bush. Letzte Woche warnte der Reporter aus dem Todestrakt vor möglichen Manipulationen der kommenden Wahl, aber nicht weniger eindringlich warnt er wie in seinem heutigen Beitrag vor der Illusion, daß John Kerry die US-Politik grundlegend anders gestalten könnte.
Doch analog zum generellen Klimawechsel in weiten Teilen der US-Gesellschaft in Sachen Todesstrafe hat die Demokratische Partei einen Wandel vollzogen. Gegenüber den Programmen vergangener Wahljahre wies das aktuelle zum ersten Mal seit 1980 keinen Passus mehr auf, in dem die Todesstrafe ausdrücklich gutgeheißen wird. Kerrys Plattform setzt sich in dieser Frage wesentlich von William Clinton und Al Gore ab, die mit ihrem Beharren auf der »death penalty« auf Stimmenfang gingen. Theatralisch der Auftritt von Clinton im Wahlkampf von 1992, als er - noch Gouverneur von Arkansas - dort demonstrativ an der Hinrichtung eines geistig behinderten Delinquenten teilnahm. Vergleichbares wäre undenkbar für Kerry. Die Abgeordnete Rosa DeLauro aus Connecticut auf die Frage der Zeitschrift The Nation, warum die Todesstrafe im Wahlprogramm ihrer Partei fehle: »Darin spiegelt sich der Einfluß John Kerrys wider.«
Neben Kerrys Heimatstaat Massachussetts führen elf weitere Bundesstaaten keine Hinrichtungen durch. Unter ihnen die von Bush und Kerry so hart umkämpften »battleground states« Wisconsin, Iowa, Minnesota, Michigan, Maine und West Virginia. Illinois wäre noch anzuführen, wo der scheidende republikanische Gouverneur George H. Ryan[2] im Januar 2003 als letzte Amtshandlung alle 167 Gefangenen im Todestrakt begnadigte, um damit auf die seiner Meinung nach »grausame, unberechenbare und deshalb unmoralische« Strafform hinzuweisen, die nicht reformierbar sei, »sondern nur abzuschaffen«.
Öffentliche Unterstützung
Mumia Abu-Jamal geriete durch eine Wiederwahl Bushs kaum in größere Gefahr, als sie ohnehin für ihn seit vielen Jahren besteht. Aber die Veränderung unter Demokraten und sogar Republikanern zeigen, daß die Todesstrafe in den USA in Frage steht. Mumia Abu-Jamal hat durch seine journalistische Arbeit zu diesem Meinungswandel beigetragen.
Doch es sitzen immer noch 3 500 Gefangene in den US-Todestrakten, und das staatliche Morden geht weiter: Allein in dieser Woche starben Adremy Dennis (Ohio), Donald Aldrich (Texas) und Sammy Crystal Perkins (North Carolina) in Hinrichtungskammern. Mumia Abu-Jamal und die anderen Gefangenen in den Todestrakten brauchen deshalb mehr denn je jede öffentliche Unterstützung im Kampf zur Abschaffung der Todesstrafe.
(Die 200. Kolumne, die nach diesem Artikel in junge Welt veröffentlicht wurde, ist auf www.freedom-now.de unter »News/Kolumnen« zu finden.)
Buchtip: Terry Bisson »on a move - Die Lebensgeschichte von Mumia Abu-Jamal«[4], www.atlantik-verlag.de