Mumia Abu-Jamal * junge Welt Nr. 208, 06./07. September 2003
Während in Irak der Kollaps der sogenannten »Operation Renewed Freedom« fortschreitet, scheint die Bush-Regierung entschlossen zu sein, keine nennenswerten Truppenverbände in das von Unruhen erschütterte Liberia zu entsenden. Die bescheidene Zahl von ursprünglich sieben Abgesandten des US-Militärs machte deutlich, wie wichtig der US-Regierung die Wiedererrichtung des Friedens in Liberia ist.
Liberias Geschichte weist enge Verbindungen mit den Vereinigten Staaten von Amerika auf. Die Gründer des Staates waren ausgebürgerte Schwarze, die mit Unterstützung der American Colonization Society nach Afrika zurückgeschickt worden waren. Diese in den USA aufgewachsenen Menschen brachten den dort lebenden Westafrikanern nichts anderes als Kolonisierung und Ausbeutung durch die amerikanisch-liberianische Minderheit. Es war wirklich so, daß die Afroamerikaner die Westafrikaner zu ihren Sklaven machten. Sie mußten auf der nahegelegenen Insel Fernando Po für den US-Multi Firestone Kautschuk gewinnen. Was 1822 als Streben nach Freiheit für Afroamerikaner begann, brachte den eingeborenen Westafrikanern Unfreiheit.
Das ist genau der Punkt: wenn Liberia vor fast 200 Jahren gegründet wurde, weil Schwarze in den USA unterdrückt wurden, und diese sogenannten »Freigelassenen« wiederum die Westafrikaner unterdrückten, was soll man dann heute von der Politik des weißen Amerika erwarten?
Ein Westafrikaner bemerkte kürzlich gegenüber dem Verfasser, die USA würden niemals militärisch in den liberianischen Bürgerkrieg eingreifen. Warum war er sich in dieser Frage so sicher? »Zwei Stichwörter«, war seine Antwort, »erstens Somalia und zweitens Schwarze.«
Man mußte nicht lange nachdenken, um ihm zuzustimmen: Das Somalia-Debakel mit den afrikanischen Milizen, die mit automatischen Waffen und Raketen auf US-Truppen schossen, ist der Stoff, aus dem die modernen Alpträume der USA gestrickt sind. Und die andere Realität, daß Liberia eine schwarze Nation ist, berührt die Tatsache, daß die Nordamerikaner nicht aufhören, Schwarze herabzusetzen. Sie tun es zu Hause, warum nicht auch im Ausland? Diese Logik ist nicht von der Hand zu weisen.
Als die Bush-Regierung der Öffentlichkeit ihr Irak-Abenteuer verkaufte, da gab es scharenweise Schönredner und Schlauköpfe, die behaupteten: »Die Irakis werden uns mit Blumen empfangen!« Oder sie verkündeten: »Die Irakis werden auf den Straßen tanzen, wenn die US-Truppen in die Städte einmarschieren!« Nach feiern ist den Irakis aber in diesen Tagen nicht zumute. Am ehesten führt noch der Gureillakrieg zu wilden Feiern, denn wann immer US-amerikanische Truppen mit Bomben oder Granaten angegriffen werden, ziehen Leute tanzend und jubelnd durch die Straßen. Der Irak-Feldzug sieht mehr und mehr nach einer »Operation Wahnsinn« aus. Nach einigen Monaten im Irak-Debakel macht sich jetzt eine Atmosphäre der Vorsicht in den Köpfen der Ideologen breit, die für die US-Außenpolitik verantwortlich sind. Sie denken an schwarze Rebellen, die sich dem Ausplündern ihres Landes durch das US-Militär widersetzen, und zittern vor der Möglichkeit, daß ihnen das wieder Schlagzeilen in den Abendnachrichten beschert. Und deshalb entsenden sie sieben bewaffnete US-Soldaten in eine Stadt mit einer Million Einwohnern.
Schwarze Politiker drängen auf eine Verstärkung des militärisches Engagements in Monrovia, aber die Bush-Administration hält sich bedeckt. Vor einigen Jahren, als nigerianische Einheiten in Liberia einmarschierten, gab es in Nigeria eine beträchtliche Opposition gegen das militärische Vorgehen der eigenen Armee. Damals hieß die liberianische Bevölkerung die Nigerianer zunächst willkommen. Schon nach kurzer Zeit begannen aber liberianische Aufständische, die nigerianische Friedensstreitmacht unter Beschuß zu nehmen. In Nigeria erinnert man sich noch gut an diese Zusammenstöße, und man möchte sich davor hüten, so etwas noch einmal zu erleben. Genauso erinnert sich die US-amerikanische Führung an Somalia und sie möchte nicht, daß sich dieses Desaster wiederholt.
Die »Lösung«? So wenig wie möglich selber tun und lieber andere dafür bezahlen, das Risiko zu tragen. Wortreich Unterstützung zusagen und ein wenig Geld fließen lassen, aber so wenig Soldaten wie möglich hinschicken. Man kann sie Friedenstruppe nennen, sollte sie aber so weit wie möglich von den Kampfhandlungen fernhalten. Und so gerät Liberia immer tiefer in ein gesellschaftliches Chaos. Die dortigen Warlords und Präsidenten werden Kriegsverbrecher genannt, aber niemand spricht von den internationalen Diamanten- und Goldhändlern, die diese Kriminellen mit Waffen ausrüsten. Das einzig Positive an Liberia ist, daß es die Grenzen markiert, an die das US-Imperium stößt.
Übersetzung: Jürgen Heiser