junge Welt Nr. 183 vom 8. August 2003 / Von Karin Leukefeld
Abu Ghraib ist einärmlicher Stadtteil im Westen Bagdads. Bekannt wurde er als Standort des größten Gefängnisses im Irak. Und er wird es auch in Zukunft sein, denn das Gefängnis bleibt bestehen – nunmehr unter dem Namen »Bagdad Central Penitentiary«. Es wurde in dieser Woche neu eröffnet.
Vor dem Krieg diente Abu Ghraib als Synonym allen Übels der früheren irakischen Führung. Hier wurden politische Gegner ebenso inhaftiert wie Kriminelle, Mörder oder Frauen, die auf irgendeine Weise gegen Gesetz und Sitte des arabischen Landes verstossen hatten. Bei einer Generalamnestie im Oktober vergangenen Jahres wurden allein aus Abu Ghraib 10.000 Gefangene entlassen. Landesweit ging man damals von 40.000 Freigelassenen aus. Die meisten waren Kriminelle. Allerdings kamen auch junge Männer frei, die den Militärdienst verweigert hatten.
Nach dem Einmarsch in Bagdad besetzten die US-Truppen auch das ehemalige Gefängnis. Es füllte sich nach und nach wieder mit neuen Häftlingen. Festgenommen von den Amerikanern, warten diese Iraker noch immer auf ihre Anklage. Ihre Angehörigen wissen häufig nicht, in welchen Gefängnissen oder an welchen anderen Orten sie festgehalten werden. Besuche sind auch in Abu Ghraib ebensowenig gestattet wie Vertrauensanwälte zugelassen werden. Amnesty International kritisierte in einem Bericht (www.amnesty.org) bereits im Juni die entwürdigende Behandlung der irakischen Gefangenen durch die Besatzungsmaechte.
Nun hat die amerikanische Militärpolizei in dieser Woche das Gefängnis Abu Ghraib offiziell neu eröffnet und nennt es »Zentrales Staatsgefängnis von Bagdad«. Die Leiterin ist eine Frau, US-Brigadegeneral Janis Karpinski, die für sämtliche Gefängnisse im Irak zuständig ist. Zur Wiedeöffnung führte sie Journalisten durch das frisch gestrichene Gebäude. Man habe »ganz von vorne anfangen müssen«, sagte sie der Nachrichtenagentur Reuter. Angeblich sollen sich derzeit auf dem weitläufigen Gelände 500 Gefangene befinden, so Brigadegeneral Karpinski. 400 seien Plünderer und Diebe, hundert seien »Anhänger von Saddam Hussein", die man bei den letzten Razzien festgenommen habe. Bei mehr als 50 Grad Hitze werden die Gefangenen in stacheldrahtumzäunten Laufställen unter freiem Himmel gehalten. Die 50 irakischen Richter, die bei der von den Amerikanern eingerichteten Interimsjustizbehörde arbeiten, haben erst wenige der offiziell 3.000 irakischen Gefangenen angehört, die seit dem Fall des alten Regimes festgenommen wurden. Das irakische Rechtssystem wird von amerikanischen Juristen derzeit komplett in deren Sinne erneuert.
In den vergangenen Wochen kam es in Abu Ghraib wiederholt zu Angriffen von Gefangenen auf die amerikanischen Bewacher. Im Juni war bei einem Aufstand ein Gefangener erschossen worden. Auch als die Journalisten nach ihrer Besichtigungstour das neue Abu Ghraib verliessen, rüttelten Hunderte Gefangene am Stacheldraht und riefen »Freiheit, Freiheit«. Und einer der Reporter sah noch etwas anderes. An einem Gebäude stand in großen Buchstaben geschrieben »Death Row«, Todestrakt.
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