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Menschenrechte auf Papier
Am Sonntag jährte sich die Verabschiedung der »Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte« (AEMR) durch die 1945 neugegründeten United Nations Organization (UNO) zum 75. Mal. Mit der Verkündung der AEMR am 10. Dezember 1948 zog die Staatengemeinschaft Schlussfolgerungen aus dem Zweiten Weltkrieg. Sie setzte damit ein wichtiges Signal für die folgenden Jahrzehnte. Wie die Geschichte seitdem gezeigt hat, konnte die Erklärung jedoch nicht mehr sein als der Versuch, dem Kriegsmonster, das Folter, extralegale Hinrichtungen, »legale« Todesstrafe und andere Schrecken aus dem Arsenal der Unmenschlichkeit mit sich bringt, Einhalt zu gebieten. Wie die zweite Nakba Palästinas aktuell beweist, müssen die »Verdammten dieser Erde« (Frantz Fanon) weiterhin tagtäglich um ihr Existenzrecht kämpfen.
Das ist in den USA nicht anders. Mit Blick auf das historische Datum der AEMR fand vom 7. bis 10. Dezember 1990 ein »Tribunal über politische Gefangene in den USA« statt. Es tagte im New Yorker Hunter College vor einer aus Juristen, Menschenrechtlern und Nobelpreisträgern bestehenden internationalen Jury, der auch der Hamburger Völkerrechtler Norman Paech angehörte.
Koordinator des Tribunals war der 2014 verstorbene Soziologe und Rechtswissenschaftler Luis Nieves Falcón, ein engagierter Verfechter der Unabhängigkeit seines Heimatlandes Puerto Rico von den USA. Nieves Falcón hatte gegenüber der UNO und international tätigen Menschenrechtsorganisationen die Existenz politischer Gefangener in den USA als »eine schockierende Realität« bezeichnet. Sie sei von allen US-Regierungen seit den 1960er Jahren immer wieder geleugnet worden. Politische Aktivisten wie Oscar López, Leonard Peltier und Mumia Abu-Jamal würden »wegen ihres Engagements im Kampf für die Souveränität indigener Völker, die Befreiung der Afroamerikaner, die Unabhängigkeit Puerto Ricos und gegen die Unterdrückung der Frauen sowie gegen Rassismus, Imperialismus und die Atomrüstung kriminalisiert«, erklärte Nieves Falcón. Die gegen sie verhängten Urteile und ihre Isolierung in der Haft seien ohne Frage unvereinbar mit den Grundsätzen des Völkerrechts.
Wie der Verfasser als Beobachter des Tribunals feststellen konnte, war es vor allem Nieves Falcóns Beharrlichkeit und der Entschlossenheit der puertoricanischen Organisationen zu verdanken, dass Abu-Jamals Fall auf diesem Tribunal verhandelt wurde. Neun Jahre nach seiner Verhaftung und der 1982 gegen den Bürgerrechtler und Journalisten ausgesprochenen Todesstrafe wegen angeblichen Polizistenmordes wurde sein Fall zum ersten Mal der internationalen und US-Öffentlichkeit bekanntgemacht und das ihm geschehene Unrecht verurteilt.
42 Jahre nach der Verhaftung Abu-Jamals erinnerte kürzlich ein Redaktionsmitglied des im Baskenland erscheinenden Baskultur-Info an die Anfänge der internationalen Mumia-Solidarität, die eng mit dem Tribunal in New York City verbunden waren. Das Tribunal sei Anlass gewesen für einen »Besuch bei Mumia im 500 Kilometer entfernten Gefängnis von Huntingdon, im US-Staat Pennsylvania«. So bekam der politische Gefangene nach dem Tribunal zum ersten Mal Besuch aus Europa. Als Delegierter des 1988 in Bremen gegründeten Solidaritätskomitees bekam der Verfasser Gelegenheit zum ersten persönlichen Gedankenaustausch mit Abu-Jamal, zu dem schon fast zwei Jahre Briefkontakt bestand. Die Realisierung des Besuchs wurde tatkräftig von der New Afrikan Peoples Organization (NAPO) unterstützt.
Das Tribunal und der Besuch waren letztendlich im deutschsprachigen Raum der Beginn der Kampagne für Bürgerrechtler. Ab Mitte der 1990er Jahre waren es über 40 Gruppen des »Bundestreffens der Mumia Abu-Jamal-Unterstützungskomitees«, die für sein Leben, seine Freiheit und die Abschaffung der Todesstrafe eintraten. 1995 und 1999 verhinderte die internationale Solidaritätsbewegung seine Hinrichtung und sorgte zusammen mit der Verteidigung für die Aufhebung des Todesurteils. Die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte ist weiter die Grundlage für den weltweiten Kampf um die endgültige Freilassung des 69jährigen politischen Gefangenen.