Link zum Artikel in junge Welt Nr. 176 vom 1. August 2023: Bitte HIER klicken![1]
Nach 60 Jahren frei
Die Solidaritätsbewegungen für politische Gefangene in den USA haben die Nachricht mit großer Freude aufgenommen: Der seit 60 Jahren ununterbrochen inhaftierte Knastaktivist Ruchell »Cinque« Magee wird in Kürze auf Bewährung entlassen. »Ruchell war selbst die Hauptantriebskraft für die Erlangung seiner Freilassung«, teilte das Bündnis »Coalition to Free Ruchell Magee« mit und zeigte sich erleichtert, dass der mittlerweile 84 Jahre alte Magee »noch den Rest seines Lebens im Kreis seiner Angehörigen verbringen« könne. Mit Blick auf die allgemein prekäre Lage der seit den 1960er bis 1980er Jahren inhaftierten politischen Gefangenen aus verschiedenen antiimperialistischen Bewegungen erklärte das Bündnis: »Wir hoffen, dass dieser monumentale Sieg zu einem verstärkten Engagement für die Freilassung aller politischen Gefangenen führen wird. Wir werden den Kampf für Gerechtigkeit nicht aufgeben.«
40 Jahre nach seiner ersten Anhörung vor dem Bewährungsausschuss war Magee im Juli 2021 zum 13. Mal die Entlassung auf Bewährung verweigert und die nächste Anhörung auf Juli 2024 festgelegt worden. Dass die Entscheidung der US-Behörden nun früher fiel, wird nach Einschätzung von Unterstützern an der Kritik einer UN-Menschenrechtsdelegation liegen, die Ende April sechs Städte der USA besuchte. Sie ging den seit gut zehn Jahren vermehrt erhobenen Beschwerden über rassistische Polizeigewalt sowie institutionellen Rassismus der US-Justiz- und Gefängnisbehörden nach und informierte sich insbesondere über die Lage der politischen Gefangenen, darunter auch der Magees. In ihrem kürzlich in junge Welt erschienenen Essay hatte die im Pariser Exil lebende US-Schriftstellerin Julia Wright am 13. Juni erklärt: »Müssten die USA zugeben, dass sich auch in ihren Kerkern politische Gefangene befinden, genau wie unter ausländischen Regierungen, die sie als ›totalitär‹ bezeichnen, wäre der Mythos der perfekten ›Demokratie‹ entzaubert.«
Magee wurde am 17. März 1939 in der Kleinstadt Franklinton, Louisiana, geboren. Im gesamten Süden waren die rassistischen Jim-Crow-Gesetze, Terror und Lynchmorde durch den Ku-Klux-Klan und eine permanente Entrechtung von Schwarzen an der Tagesordnung. 1955 wurde Magee als Sechzehnjähriger das erste Mal inhaftiert. In der Folge schuftete er acht Jahre lang als Zwangsarbeiter in dem als »Angola« berüchtigten Staatsgefängnis von Louisiana, das ursprünglich eine Sklavenplantage war. Nach seiner Entlassung zog Magee 1963 nach Los Angeles und wurde nach nur sechs Monaten in Freiheit wieder verhaftet – wegen eines Streits über Marihuana im Wert von zehn US-Dollar, den ein Polizeispitzel zu einem »räuberischen Kidnapping« aufblies. Seitdem blieb er ununterbrochen in Haft.
Das internationalistische Portal Peoples Dispatch nannte Magee »ein Symbol des Widerstands für politische Gefangene weltweit«. Während seiner jahrzehntelangen Haft habe er »beharrlich gegen das rassistische Rechtssystem der USA gekämpft«, weswegen er vor Gericht »mehrfach in Ketten gelegt und geknebelt« worden sei. Internationales Aufsehen erregte 1970 die als »Rebellion im Marin-County-Gerichtsgebäude« in die Geschichte der Klassenkämpfe eingegangene versuchte Befreiungsaktion während einer Verhandlung, mit der auch die Kommunistin Angela Davis in Verbindung gebracht wurde. Nach Abtrennung ihres Verfahrens durch die Staatsanwaltschaft wurde sie durch eine weltweite Solidaritätskampagne vor der Todesstrafe bewahrt, während für ihren früheren Mitangeklagten Magee die von ihm als »Sklavenaufstand« bezeichnete Aktion zum Hauptgrund für seine endlose Haft wurde. Davis hatte als Zeugin für Magee vor der UN-Delegation ausgesagt und hervorgehoben, er sei nach ihrer Erinnerung »die erste Person, die den historischen Zusammenhang zwischen Gefängnis und Sklaverei erkannt« habe. Der frühere Black Panther Harold Welton vom Solidaritätsbündnis für Magee sprach gegenüber dem Portal davon, dass »die Rückkehr des wohl am längsten inhaftierten politischen Gefangenen der Welt« eine Inspiration dafür sein kann, »den schwarzen Befreiungskampf fortzusetzen und niemals aufzugeben«.
Jürgen Heiser