Mumia Abu-Jamal * Link zum Artikel in junge Welt Nr. 31 vom 6. Februar 2023: Bitte HIER klicken![1]
Ein Lehrstück
Es hätte überall passieren können, aber das Schicksal wählte Memphis aus, jenen Ort im US-Bundesstaat Tennessee, in dem Martin Luther King Jr. seinen letzten Atemzug tat, und ein Musiker namens Elvis zum »King of Rock ’n’ Roll« gekrönt wurde. Memphis. Im alten Ägypten trug die Hauptstadt am Nil diesen Namen. In den Vereinigten Staaten von Amerika ist Memphis eine Stadt am Mississippi.
Jetzt erlangte sie traurige Berühmtheit als jene Stadt, in der ein junger schwarzer Mann namens Tyre Nichols von fünf schwarzen Polizisten brutal zusammengeschlagen wurde. Die fünf Beamten einer sogenannten Sondereinheit zur Kriminalitätsbekämpfung, bekannt als die inzwischen aufgelöste Antikriminalitätseinheit SCORPION (Street Crimes Operation to Restore Peace in Our Neighbourhoods), hielten den 29jährigen Nichols an, zwangen ihn, aus seinem Auto auszusteigen, streckten ihn mit Taserwaffen nieder und prügelten ihn buchstäblich zu Tode. Das alles geschah vor laufenden Kameras.
Überall in den USA brachen danach Proteste gegen Polizeigewalt aus, aber wer glaubt wirklich daran, dass sich etwas Wesentliches ändern wird? Diese Polizisten waren mit Körperkameras ausgestattet, aber das hat sie nicht davon abgehalten, Nichols zu verprügeln, zu treten, zu tasern und mit einem Teleskopschlagstock anzugreifen. So viel zu der Annahme, dass Körperkameras die Polizeigewalt eindämmen würden. Tatsächlich haben sie auch in diesem Fall die Cops nicht von ihrer Brutalität abgeschreckt.
Wieder einmal rief ein Schwarzer, der in die Hände der Polizei geraten war und den drohenden Tod spürte, die Person zu Hilfe, deren Liebe er sich sicher sein konnte: seine Mutter. Das Video der brutalen Prügelorgie ist ein Lehrstück dafür, dass sich nach dem Mord an George Floyd nichts geändert hat.
Übersetzung: Jürgen Heiser
Tyre Nichols starb am 10. Januar 2023, drei Tage nachdem er wegen einer angeblichen Verkehrsübertretung von Beamten der Sondereinheit »SCORPION« gestoppt und grundlos verprügelt worden war. Das Video kam erst durch entschlossenes Handeln der örtlichen Gruppe der »Black Lives Matter«-Bewegung an die Öffentlichkeit. Die Schläger, fünf schwarze Beamte, wurden entlassen und wegen Mordes und Kidnapping angeklagt. Ein weißer Beamter, der auf dem Video mit den Worten »Ich hoffe, sie treten ihm in den Arsch« zu hören ist, wurde nur suspendiert.
Das prompte Handeln der Polizeichefin gegenüber den Polizisten schon nach 20 Tagen erzeugte Verwunderung. Benjamin Crump, Anwalt der Familie, warf auf der Trauerfeier die Frage auf, ob es damit zu tun haben könnte, dass die Täter Schwarze waren. Er erinnerte an die vielen Fälle, in denen Schwarze durch Polizeigewalt von Weißen starben und erklärte, die Verantwortlichen könnten nun nie mehr sagen, dass die Ahndung solcher Taten »sechs Jahre dauern wird, dass es einen Monat dauern wird, dass es drei Jahre dauern wird« wie bisher. »Wir können bis 20 zählen«, sagte Crump. Das Vermächtnis von Tyre Nichols bestehe darin, »dass wir das gleiche Recht darauf haben«, alle Täter künftig sofort zur Rechenschaft zu ziehen. »Und zwar schnell! Zügig! Zügig!« (jh)