Link zum Artikel in junge Welt Nr. 241 vom 17. Oktober 2022: Bitte HIER klicken![1]
20 Meilen pro Tag
In den USA sieht sich Präsident Joseph Biden zunehmend mit der Forderung nach Freilassung des indigenen Bürgerrechtlers und politischen Gefangenen Leonard Peltier konfrontiert. Die Europatour der Native Americans (siehe jW vom 14. Oktober) hat derzeit in den USA im »Leonard Peltier’s Walk to Justice« ihre kämpferische Entsprechung. Am 31. August 2022 hatte das American Indian Movement (AIM) mit einer Auftaktkundgebung im Cedar Field Park in Minneapolis im US-Bundesstaat Minnesota den auf 15 Wochen angelegten Solidaritätsmarsch für den AIM-Aktivisten Peltier gestartet. Ziel des 1.100 Meilen langen Marsches durch acht US-Bundesstaaten ist die Hauptstadt Washington, D. C. Der bis dahin durch viele Unterstützer angewachsene Protestzug soll nach letzten Informationen am 9. November, einen Tag nach den US-Zwischenwahlen, das politische Zentrum Washingtons erreichen.
Frank Paro, der Vorsitzende des Großen Rates des AIM, erklärte in der afroamerikanischen Zeitung Los Angeles Sentinel (LAS) am 11. August den Zweck des Marsches: Es gehe darum, »das Bewusstsein für den Fall von Leonard Peltier zu schärfen, der 1977 zu Unrecht verurteilt wurde«. Peltiers Anwälte hätten Präsident Biden wiederholt gebeten, ihren Mandanten zu begnadigen, »damit er nicht im Gefängnis für ein Verbrechen stirbt, das er nicht begangen hat«.
Nach rund 500 Meilen, also knapp der Hälfte der Gesamtstrecke, waren die Marschierenden am 10. Oktober, dem »Indigenous Peoples’ Day«, in Ohio eingetroffen. Rachel Thunder vom Organisationsteam erklärte gegenüber dem Onlineportal Native News Online, der Marsch und die Gebete für Peltier seien bislang »bewegend, schwer und heilsam« gewesen. Sie seien »jeden Tag ab fünf Uhr morgens auf den Beinen, um mindestens 20 Meilen pro Tag zu schaffen«. AIM fordere Gerechtigkeit für Peltier »und Gerechtigkeit für unser Volk, die Ureinwohner von Turtle Island«.
Peltier ist am 12. September im 46. Jahr seiner Haft 78 Jahre alt geworden. Weltweit wird der inzwischen durch die Haft schwer erkrankte Bürgerrechtler als politischer Gefangener anerkannt, der nur deshalb immer noch hinter Gittern ausharren muss, weil die US-Justiz nicht nur die Beweise für seine Unschuld unterdrückt, sondern rechtswidrig seine Freilassung zur Bewährung verhindert. Auch vom präsidialen Gnadenrecht wurde bislang kein Gebrauch gemacht. So beugte sich der frühere US-Präsident William Clinton im Januar 2001 dem Druck vor dem Weißen Haus aufmarschierter Agenten der US-Bundespolizei FBI und schreckte nach ursprünglich positiven Anzeichen letztlich vor der Begnadigung Peltiers als eine seiner letzten Amtshandlungen zurück.
Auch Expräsident Barack Obama überging Peltier, obwohl der pensionierte US-Staatsanwalt James Reynolds, der eine Schlüsselrolle im Gerichtsverfahren gegen den Bürgerrechtler gespielt hatte, Obama um die Begnadigung gebeten hatte. Peltier sei »zu Unrecht für die Ermordung von zwei FBI-Agenten verurteilt worden«, weshalb seine Begnadigung »unter Berücksichtigung der Gesamtheit aller damit verbundenen Aspekte im besten Interesse der Gerechtigkeit« sei, so Reynolds im Bittbrief an Obama im Januar 2017.
Diese Tatsachen soll der »Marsch für Gerechtigkeit« nun auf Kundgebungen in Erinnerung rufen, um schließlich in Washington die Regierung Biden direkt mit der Forderung nach Freilassung Peltiers zu konfrontieren. Auch das Nationale Komitee der Demokratischen Partei macht Druck: Seit Peltiers Geburtstag liegt öffentlich eine einstimmig verabschiedete Resolution des Entschließungsausschusses vor: Der Präsident möge »seine Befugnisse nutzen, um die Freilassung von Personen zu erreichen, die übermäßig lange Haftstrafen verbüßen«. Für einen solchen Akt der Milde sei Peltier ein »idealer Kandidat«. Es gebe dafür »überwältigende öffentliche Unterstützung angesichts der verfassungsrechtlichen Probleme, die seinem Strafverfahren zugrunde liegen, seiner Situation als älterer Häftling sowie der Tatsache, dass er ein indigener Amerikaner ist, die häufiger unter medizinischer Ungleichbehandlung leiden«, so die Resolution.
Jürgen Heiser