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Historischer Knaststreik
In den Gefängnissen des US-Bundesstaats Alabama befinden sich derzeit Tausende inhaftierte Arbeiter im Streik. Sie protestieren gegen brutale Haftbedingungen, rassistische Gerichtsurteile und die unbezahlte Ausbeutung ihrer Arbeitskraft. Unter der Parole »Aus einem Funken wird eine Flamme« schworen die Streikbereiten am 26. September, »nicht länger zu unserer eigenen Unterdrückung beizutragen«, und begannen ihren Ausstand in den Fabriken, Küchen und Reinigungskolonnen der Anstalten. Die Häftlinge kritisieren, dass nach ihren früheren Eingaben und Protestaktionen das Washingtoner Bundesjustizministerium zwar im Jahr 2020 endlich in Alabama eingegriffen habe. Die Bedingungen in den Anstalten des Bundesstaats seien jedoch weiterhin »unfassbar unsicher, unmenschlich und ausbeuterisch«.
Das Justizministerium hatte den Bundesstaat mit der Begründung verklagt, die Haftbedingungen in den Männergefängnissen seien verfassungswidrig, weil die Häftlinge nicht vor Gewalt und sexuellen Übergriffen durch Mitgefangene sowie übermäßige Gewaltanwendung durch das Wachpersonal geschützt seien. Als eine der Ursachen nannte die Klage die völlige Überbelegung der großen Gefängnisse. Geändert hat sich seitdem indes nichts, so die Protestierenden. Mit ihrer Arbeitsniederlegung fordern die Streikenden deshalb jetzt eine spürbare Verbesserung ihrer Lage sowie eine generelle Reform des Strafvollzugs.
Wie die New York Times zwei Tage nach Streikbeginn berichtete, beteiligen sich etwa 80 Prozent der rund 25.000 Gefangenen in Alabamas 14 großen Staatsgefängnissen am Ausstand. Das Blatt berief sich dabei auf das Solidaritätsnetzwerk »Both Sides of the Wall«, das den Streik in zahlreichen Städten von außen gemeinsam mit Menschenrechtsgruppen wie der »Alabama Prison Advocacy« und »Incarcerated Families United« unterstützt.
Die selbstorganisierte Gefangenenbewegung »Free Alabama Movement« (FAM) vermeldete in einer Pressemitteilung, sie habe den Streik seit Juni vorbereitet. Dabei hätten ihr die Kollektive des Unterstützernetzwerks tatkräftig zur Seite gestanden. Wie Workers World am vergangenen Dienstag online berichtete, veranstaltete das Netzwerk am ersten Tag des Streiks in der Hauptstadt Montgomery eine Kundgebung vor dem Gebäude der Gefängnisbehörde, dem »Alabama Department of Corrections« (ADOC). Ehemalige Gefangene forderten in ihren Redebeiträgen die sofortige Verbesserung der medizinischen Versorgung und der Haftbedingungen sowie tiefgreifende Reformen der miserablen Bewährungspraxis.
Nach der fruchtlosen Intervention des US-Justizministeriums im Jahr 2020 hatte das FAM schon am 1. Januar 2021 einen befristeten Warnstreik ausgerufen, der von den Behörden totschwiegen wurde. Anders als damals ging das ADOC dieses Mal sofort mit einer vorbereiteten Presseerklärung an die Öffentlichkeit und räumte die »Arbeitsniederlegung mit einer wahrscheinlich weit verbreiteten Beteiligung« in den Haftanstalten ein.
Wegen der Bestreikung der Anstaltsküchen wurde die Essensausgabe auf zwei kalte Mahlzeiten pro Tag reduziert. Zur Zubereitung der kargen Mahlzeiten setzt die Gefängnisverwaltung Freigänger aus Arbeitskommandos von außerhalb der Anstalten als Streikbrecher ein. Am Ende der ersten Woche ihres »historischen Knaststreiks« erklärte das FAM laut Workers World, es sei »ziemlich klar, dass das ADOC Gewalt will«. Die Behörde habe damit begonnen, Sondereinheiten zur Niederschlagung von Meutereien in Bereitschaft zu versetzen, »obwohl der Streik den krisengeschüttelten Gefängnissen Alabamas die friedlichsten Zeiten seit langem beschert« hätten.
Die Gefangenenbewegung sieht die Gründe für die zu erwartende harte Haltung des Staates auf ökonomischer Ebene. »Bei der Masseninhaftierung, der verfassungswidrigen Überfülltheit der Gefängnisse und der unmenschlichen Behandlung« gehe es nicht um Menschlichkeit, sondern um Geld. »Zwangsarbeit und die überproportionale Anzahl von Schwarzen« seien »die Fortsetzung der Sklavenarbeit unter anderem Namen«, so das FAM. Der Streik richte sich deshalb »gegen die Institution der Neosklaverei«.
Jürgen Heiser