Link zum Artikel in junge Welt Nr. 152 vom 5. Juli 2021: Bitte HIER klicken![1]
Consuewella Africa: Presente!
Für viele ist der Name Consuewella Africa nur einer von vielen der Familie der Africas. Er ist austauschbar, denn wie sollte jemand die einzelnen Mitglieder der Move-Familie kennen, wenn er keine Zeit mit ihr verbracht hat? Consuewella, von ihren Move-Brüdern und -Schwestern Swella genannt, war eine Frau, die Stärke und Zuversicht ausstrahlte. Meine Erinnerungen an sie bringen mich sowohl zum Lachen als auch zum Nachdenken.
Einmal, als ich in einem Bus die Powelton Avenue hinunterfuhr, sah ich Consuewella, wie sie sich, umgeben von Kindern, vor dem Move-Gemeinschaftshaus in der Sommerhitze sonnte. Ich schnappte mir schnell meine Kamera und machte ein Foto, woraufhin sie sich wütend auf mich stürzte und meine Aufdringlichkeit verfluchte.
Später habe ich sie mehrmals interviewt. Eines dieser Gespräche sticht besonders hervor, aber weniger wegen meiner Frage, an die ich mich ehrlich gesagt nicht mehr erinnern kann, als vielmehr wegen ihrer Antwort. Als Consuewella beschrieb, was Move für sie bedeutet, erklärte sie, sie seien die »Kinder Gottes«. Die Kinder Gottes – wer könnte eine solche Aussage je vergessen?
Swella war die Mutter von drei Kindern: den Mädchen Tree und Netta und dem Jungen namens Lobo. Was die beiden Mädchen angeht, wer könnte den 13. Mai 1985 vergessen? Tree und Netta waren unter den elf Männern, Frauen und Kindern, die von den Verantwortlichen der »Stadt der brüderlichen Liebe« und ihren Mitverschwörern unter Bundespolizisten und Militärs beim Angriff auf das Move-Haus durch den Abwurf einer Bombe abgeschlachtet wurden.
Inzwischen wissen wir, dass führende Universitäten in der Region mit Knochen der sterblichen Überreste von Consuewellas Töchtern Tree und Netta Forschung betrieben haben – und zwar nicht erst seit ein paar Jahren, sondern seit Jahrzehnten. Was muss die 67jährige Mutter durchgemacht haben, als sie erst vor wenigen Wochen davon erfuhr? Ein Arzt hat Consuewella in ihren letzten Stunden untersucht und dabei keine körperlichen Ursachen für ihre Beschwerden gefunden. Ist es nicht vorstellbar, dass ihre schiere Empörung oder ihre Wut sie umgebracht haben?
Consuewella Africa wurde von Move auch »Minister of Confrontation« (»Ministerin für Konfrontation«) genannt, weil sie für die Überzeugungen von Move eintrat und dafür immer wieder ins Gefängnis geworfen wurde. Während ihres ganzen Erwachsenenlebens kämpfte sie für die Freiheit. Und selbst dann noch, als die Nachricht über den Missbrauch der sterblichen Überreste ihrer Töchter öffentlich bekannt wurde, kämpfte sie auch weiter für die Freiheit des Verfassers dieser Kolumne. Consuewella Africa, wir werden dich nie vergessen!
Übersetzung: Jürgen Heiser
Am 16. Juni 2021 veröffentlichte das Jamal Journal in Philadelphia folgende Erklärung:
»Die Move-Organisation möchte darüber informieren, dass unsere geliebte Schwester Consuewella Africa heute verstorben ist. Consuewella hatte die letzten Wochen mit gesundheitlichen Komplikationen im Krankenhaus verbracht. Ursache war der Stress, unter dem sie stand, seit sie erfahren hatte, dass die Universität von Pennsylvania hinter dem Missbrauch der sterblichen Überresten ihrer Tochter Tree Africa steckte. Consuewella war ›Ministerin für Konfrontation‹ der Move-Organisation und eine Überlebende der Konfrontation vom 8. August 1978 (an diesem Tag stürmte die Polizei nach tagelanger Belagerung das Gemeinschaftshaus von Move in West-Philadelphia, Anm. jW), die 16 Jahre im Gefängnis verbrachte, weil sie sich weigerte, Move abzuschwören. Ihre Töchter Tree und Netta Africa wurden von diesem Staat am 13. Mai 1985 ermordet.
Wir wurden inzwischen von der Anthropologischen Fakultät der Universität von Pennsylvania darüber informiert, dass die sterblichen Überreste Tree Africas an ein Bestattungsinstitut überstellt wurden und dort zur Abholung bereitstehen. Wir hoffen, dass wir Tree und Consuewella zusammen bestatten können. Geliebte Schwester, du wirst für immer in unseren Herzen bleiben. Deine Move-Familie.«
Zum Missbrauch der Move-Kinder als Schauobjekte der Forschung siehe das jW-Thema »Barbarische Anthropologie« vom 17. Mai 2021 unter Bitte HIER klicken![2]. (jh)