Mumia Abu-Jamal * Link zum Artikel in junge Welt Nr. 79 vom 6. April 2021: Bitte HIER klicken![1]
Wo sind die Menschenrechte?
Zum »Internationalen Tag der Opfer der Sklaverei« melde ich mich aus einem Staat der Masseninhaftierungen, einem Staat der Armut, der Unterdrückung, des Umweltrassismus, der Polizeigewalt und der staatlichen Repression. Die Verhältnisse hier in den USA sind denen nicht unähnlich, die Bruder Kéziah Nuissier in Fort-de-France, Martinique, gegenwärtig am eigenen Leib erfährt – staatliche Repression gegen Andersdenkende.
Vor Generationen wurde die US-Bürgerrechtsbewegung geboren, als der Teenager Emmett Till (1941–1955) durch brutale Folter und Ertränken in einem Fluss gelyncht wurde. Im vergangenen Jahr entstand eine weltweite Menschenrechtsbewegung als Reaktion darauf, dass sich rassistische Polizeigewalt gegen George Floyd, einen Mann in seinen Vierzigern, richtete, der vor aller Augen – wie in Zeitlupe – brutal umgebracht wurde. Floyd starb dadurch, dass ihm der Polizist Derek Chauvin in Minneapolis minutenlang sein Knie in den Nacken drückte, bis er erstickte. Vom Teenager Emmett Till bis zum Familienvater George Floyd ist die rohe Gewalt die gleiche, ist der rassistische Hass der gleiche, ist der tödliche Ausgang dieser Gewaltakte der gleiche.
Welchen Wert haben die Menschenrechte ohne das Recht auf Leben?
Diese Frage, die sich an der Ermordung George Floyds entzündete, stellen wir Schwarzen überall auf der Welt, aber sie wurde nicht erst durch seinen Tod aufgeworfen, und sie kann dabei auch nicht stehenbleiben. In diesem Zeitalter einer globalen Pandemie sind schwarze und braune Menschen die ersten, die krank werden, und die ersten, die ihre Jobs verlieren. Sie gehören zur Mehrheit derer, die an Covid-19 sterben, und sie sind auch die letzten, die medizinisch behandelt werden, und die letzten, die genügend Impfstoff bekommen. Wo bleiben da die Menschenrechte? Diese Frage dürfte in der gesamten Welt der Schwarzen gestellt werden.
Wir schließen uns euch an diesem Tag des Widerstands gegen die Sklaverei in all ihren Formen an, die sich gegen die Welt der Schwarzen insgesamt richtet und gegen einen ihrer größten Vertreter, Frantz Fanon (1925–1961), der für die »Verdammten der Erde« schrieb, arbeitete und lebte. Freiheit für Kéziah!
Übersetzung: Jürgen Heiser
Die Kolumne von Mumia Abu-Jamal ist die erste seit seiner Covid-19-Erkrankung vor rund einem Monat. Er schrieb den Text als Grußbotschaft an den »Internationalen Tag der Opfer der Sklaverei«, begangen in Paris am 27. März 2021. Die in Paris lebende US-Schriftstellerin Julia Wright schrieb dazu im Jamal Journal, sie habe Mumia gebeten, »eine Hommage an die früheren und heutigen Opfer der Sklaverei« zu schreiben, »die unsere panafrikanischen Kämpfe verbindet«. Sie habe gewusst, »dass ihn der Leidensweg des jungen Studenten Kéziah berühren würde«. Der 22jährige Kéziah Nuissier war am 16. Juli 2020 in Fort-de-France, der Hauptstadt der französischen Kolonie Martinique, während einer friedlichen Mahnwache gegen die Verhaftung »einer Gruppe von Ökofreiheitskämpfern«, so Wright, von den dort stationierten »Gendarmen«, der militarisierten französischen Polizei, verprügelt und gefoltert worden. Die Ökoaktivisten gehören einer Bewegung an, die gegen die Verwendung des krebserregenden Pestizids Chlordecon kämpft, das in den USA und Frankreich verboten ist, in den französischen Kolonien Guadeloupe und Martinique jedoch verwendet werden darf.
»Wie so oft wurde das Opfer selbst kriminalisiert«, schrieb Wright weiter, »und Kéziah wegen Körperverletzung von der Polizei angezeigt«. »Die Staatsanwaltschaft will den Prozess gegen Kéziah nach Paris verlegen, unter dem Vorwand, dass die Verteidiger eine ›physische Bedrohung‹ für sie darstellen.« Da komme einem unwillkürlich Frantz Fanons Klassiker »Die Verdammten der Erde« in den Sinn, schloss Wright ihre Erläuterungen. »Was würde der in Martinique geborene Fanon heute über die Verdammten seiner vergifteten Erde sagen?« (jh)