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Kein Grund zur Entwarnung
Die aktuelle Nachrichtenlage im Fall des politischen Gefangenen Mumia Abu-Jamal erinnert an eine Situation vor knapp sechs Jahren, als der damals lebensbedrohlich an Hepatitis C und Diabetes erkrankte Bürgerrechtler in den langen Korridoren eines US-Staatsgefängnisses »verschwunden« schien. Das US-Magazin Ebony sah sich im April 2015 zu der Eilmeldung veranlasst, seit Tagen gebe es »keinen Kontakt zu Mumia, weder von seiner Familie noch von Ärzten, Anwälten oder Unterstützern«. Es bestehe »große Sorge« um ihn.
Seit dem vergangenen Montag war der Verbleib Abu-Jamals erneut nicht völlig klar. Nachfragen von jW in seinem Umfeld blieben unbeantwortet oder ergaben kein klares Bild. Seine Anwälte vermuteten ihn irgendwo zwischen der Krankenstation des Gefängnisses SCI Mahanoy in Frackville (Pennsylvania) und dem regulären Zellentrakt, in dem er während der Coronapandemie wie seine Mitgefangenen seit einem Jahr zur Einzelhaft verdonnert war. Seit er Anfang März wegen einer Herzinsuffizienz kurzzeitig in eine Klinik verlegt und positiv auf das Coronavirus getestet worden war, blieben ihm zunächst alle Außenkontakte verwehrt, wie jW berichtete.
Nun erhielt junge Welt die gesicherte Information, dass Abu-Jamal kürzlich von der Krankenstation wieder in seinen alten Zellentrakt zurückverlegt worden ist. Wie Noelle Hanrahan von Prison Radio mitteilte, unterliege er dort »aktuell einer 14tägigen Quarantäne«. Er dürfe seine Zelle nicht verlassen, also auch nicht am Hofgang teilnehmen. Seinen Vertrauensarzt Ricardo Alvarez, der seine sofortige Freilassung fordert, habe er immer noch nicht gesehen, werde aber von den Anstaltsärzten medizinisch behandelt. Seine Mehrfacherkrankung erfordere jedoch »eine ständige sorgfältige Überwachung«, so die Radiomacherin.
Zuvor hatte das Jamal Journal zwar berichtet, dass »Mumia sich wieder im Normalvollzug« befinde und »seine Covid-19-Atemsymptome sich gebessert« hätten, jedoch keine Angaben dazu gemacht, warum die Rückverlegung in seine Zelle angeordnet wurde und von wem die Diagnose bezüglich Covid-19 stammt. Verständlich deshalb, dass Hanrahan betonte, es bestehe kein Grund für eine Entwarnung. Abu-Jamal befinde sich in Folge jahrzehntelanger Haft »nach wie vor in einem sehr besorgniserregenden Zustand«. Die Prognose für eine Genesung des bald 67jährigen sei »nicht gut«. Unter den Bedingungen der Haft und ohne die fachärztliche Behandlung, die er in Freiheit erhalten könnte, liege sie bei nur »50 Prozent oder weniger in den nächsten fünf Jahren«, warnte Hanrahan.
Die Produzentin von Prison Radio, die derzeit nicht den sonst üblichen telefonischen Kontakt zu ihrem langjährigen Knastkorrespondenten hat, dankte allen, »die Mumia durch ihre Solidarität unterstützen«. Es sei »wirklich sehr wichtig«, auch ihm zu schreiben und »ihm eure Gedanken« mitzuteilen. Der Bürgerrechtler selbst hatte sich zuvor mit einem auf der Website des Radios geposteten »Dankesschreiben« an seine »lieben Schwestern, Brüder, Genossen, Freunde und Familie« gewandt. Er dankte für die »Unterstützung von Philadelphia bis Frankreich, von Orten im ganzen Land und buchstäblich rund um den Globus«. Die hätte ihn aus seiner »Gefängniszelle in ein Klinikzimmer gebracht«, wo er »gegen eine Krankheit behandelt wurde, von der ich nicht wusste, dass ich sie habe«.
Typisch für den seit frühester Jugend engagierten Aktivisten und Journalisten, stellte er nicht seine seit fast 40 Jahre unschuldig erlittene Haft ins Zentrum, sondern die Lage der 2,3 Millionen im US-Gefängnissystem eingesperrten Menschen, von denen während der Pandemie inzwischen »über 300.000 Gefangene positiv auf Corona getestet worden« seien. In diesen »Zeiten der Masseninhaftierungen« erhöhe sich hinter Gittern »Tag für Tag die Belastung besonders für ältere Menschen, die vergeblich darum kämpfen zu atmen, zu gehen, zu überleben«. Abu-Jamal dankte allen, »die solidarisch ihre Hände reichen, aus tiefstem Herzen« und mahnte dringend: »Lasst uns gemeinsam die Abschaffung der Knäste in Angriff nehmen!«
Jürgen Heiser