Mumia Abu-Jamal * Link zum Artikel in junge Welt Nr. 2 vom 4. Januar 2021: Bitte HIER klicken![1]
Kälte als Folterinstrument
Jeder Ort mit einem Todestrakt ist schon von Natur aus ein kalter Ort. Was könnte auch mehr Kälte freisetzen als ein Staat, der seine eigenen Bürgerinnen und Bürger auf perfide Weise tötet? Vor allem, wenn dem Tag der Hinrichtung die jahrelange Qual psychologischer Folter und eine Isolierung unter den Bedingungen sinnlicher Entbehrungen (sensorischer Deprivation) vorausgeht.
Aber ich spreche jetzt nicht nur von der dort herrschenden seelischen Kälte, sondern von der körperlich spürbaren kalten Luft, die durch Pennsylvanias Todestraktzellen weht. Dort leben insgesamt 128 Männer, die sich während der Coronapandemie in verschärfter Einzelhaft befinden und Tag für Tag 23-einhalb Stunden in einer kalten Zelle verbringen, umgeben von hustenden und depressiven Mitgefangenen, den menschlichen »Kollateralschäden« dieses Covid-19-Winters. Wie von einer verlässlichen Quelle aus dem Todestrakt zu erfahren war, sind die Gemüter der dort Eingesperrten in diesen Tagen angesichts der drohenden Infektionen mit dem Coronavirus ziemlich düster.
Im vergangenen Jahr hatte eine anhängige Zivilklage gegen die menschenfeindlichen Bedingungen im Todestrakt zu spürbaren Veränderungen geführt. Um diese Klage beizulegen, die 2018 von der American Civil Liberties Union (ACLU) von Pennsylvania und dem in Pittsburgh ansässigen Abolitionist Law Center im Namen der im Todestrakt Untergebrachten eingereicht worden war, hatte Pennsylvanias Strafvollzugsbehörde im November 2019 zugestimmt, die Isolierung der Gefangenen zu lockern und ihnen wöchentlich mehrere Stunden Aufenthalt außerhalb ihrer Zellen zu gewähren. Aber dann schlug Covid-19 in diesem Frühjahr zu, und seit der zweiten Infektionswelle in diesem Winter weht jetzt wieder ein eisigkalter Wind durch Pennsylvanias Todestrakte.
Übersetzung: Jürgen Heiser
Kälte wie in Pennsylvanias Todeszellen herrscht inzwischen in allen Staatsgefängnissen. Am 30. Dezember 2020 kritisierte die Redaktion von Prison Radio (San Francisco) in ihrem aktuellen Newsletter, das »Frieren in kargen Zellen« sei »eine allgegenwärtige und berüchtigte Form der Folter in Gefängnissen«. Nächte in bitterer Kälte quälten viele Eingesperrte in den Gefängnissen im Land und den Internierungshaftanstalten für Geflüchtete an der Grenze zwischen Mexiko und den USA. Dass »Isolationshaft nun als Sicherheitspolitik« zur Abwehr von Coronainfektionen eingesetzt werde, sei rein repressives Handeln. Das ständige Wegsperren der Gefangenen habe die Ausbreitung des Virus nicht aufgehalten. Knastkorrespondent Dennis Solo McKeithan aus dem SCI Phoenix erklärte, warum: »Uns 23 Stunden am Tag einzusperren wird nichts verhindern, wenn die Wärter hier rein- und rauslaufen« und so das Virus verbreiteten. In vielen Fällen weigere sich das Personal, Masken zu tragen und sich testen zu lassen.
Prison Radio verwies auf einen kürzlich erschienenen Leitartikel der Tageszeitung Philadelphia Inquirer, in dem es hieß, »fast an jedem Tag dieses Monats« sei »ein Mensch, der in Pennsylvania inhaftiert war, an dem Coronavirus gestorben«. Gefangene Frauen und Männer, die an Covid-19 erkranken, würden alle im »Loch« landen, wie die Isolierzellen genannt werden. Die Schlagzeile des Artikels sagte nur die halbe Wahrheit: »Covid-19 verhängt eine neue Form von Todesurteilen über die Gefängnisse Pennsylvanias«. Prison Radio sieht die Verantwortung bei Leuten wie John Wetzel, dem Leiter des DOC, der Strafvollzugsbehörde Pennsylvanias. Er begrabe mit den »Leichen der namenlosen Opfer« auch die realen Infektions- und Todeszahlen, denn das DOC habe »seine Politik geändert und wird künftig nur noch den ersten Covid-Todesfall im jeweiligen Gefängnis melden«. (jh)