Mumia Abu-Jamal * Link zum Artikel in junge Welt Nr. 191 vom 17. August 2020: Bitte HIER klicken![1]
Sklaverei, Reparationen und »Entschuldigungen«
Im Juli 2008 verabschiedete das US-Repräsentantenhaus die »Resolution 194«, mit der es die afroamerikanische Bevölkerung für die von ihren Vorfahren erlittene Sklaverei um Entschuldigung bat. Der Gesetzesentwurf wurde von Stephen Cohen, Demokrat aus Tennessee, eingebracht. Das geschah etwa elf Jahre nachdem Expräsident William Clinton während seiner Amtszeit (1993–2001) erklärt hatte, er ziehe einen solchen Schritt in Betracht. Obwohl die Resolution nicht bindend und eher symbolisch war, wurde sie von vielen als ein Fortschritt bei der Anerkennung des großen Unrechts durch die US-Regierung betrachtet. Erst ein knappes Jahr später, am 18. Juni 2009, verabschiedete auch der US-Senat eine ähnliche Resolution. Zuvor hatte Prison Radio in San Francisco den nachfolgenden Kommentar des politischen Gefangenen Mumia Abu-Jamal aufgezeichnet, den er kurz nach Verabschiedung von »Resolution 194« verfasst hatte.
»Ach, die Sache mit der Sklaverei tut uns ja so leid!«
Vor einigen Tagen hat das US-Repräsentantenhaus mehrheitlich eine Resolution verabschiedet, in der es um Entschuldigung für die Sklaverei bittet. Dass »Resolution 194« erst heute kommt, etwa 143 Jahre, nachdem die Sklaverei offiziell durch die US-Verfassung verboten wurde, gibt uns eine Vorstellung davon, wie tief die Sklaverei immer noch im amerikanischen Bewusstsein verankert ist und wie leer eine solche Entschuldigung angesichts all dessen ist, was sich in den anderthalb Jahrhunderten seit dem Ende des Amerikanischen Bürgerkriegs (1861–1865) ereignet hat. Ich sage bewusst, dass die Sklaverei »verboten« und nicht »beendet« wurde, weil Historiker und Wissenschaftler nachgewiesen haben, dass diese rassistische Praxis noch lange fortdauerte, nur eben illegal.
Diese Entschuldigung ist so, als ob man jemanden ausraubt und mit dem, was man ihm gestohlen hat, reich und fett wird, und dann, wenn man dieser Person auf der Straße begegnet, die jetzt obdachlos und mittellos ist und Hunger leidet, ihr einen Nickel zuwirft. (Mit »Resolution 194« ist das natürlich anders, denn das US-Repräsentantenhaus macht nicht einmal diesen einen Nickel als Entschädigung locker!)
Wie uns der große schwarze Historiker J. A. Rogers lehrte – vor allem in seinem 1961 erschienenen Werk »Africa’s Gift to America« (»Afrikas Geschenk an Amerika«) –, beruht der immense Reichtum der Vereinigten Staaten von Amerika auf der Versklavung der aus Afrika verschleppten Menschen. Der junge W. E. B. Du Bois (1868–1963) bracht es schon im Jahr 1896 in seiner Doktorarbeit »The Suppression of the African Slave Trade to the United States of America: 1638–1870« auf den Punkt. Unter Berufung auf zeitgenössische Quellen schrieb er: »Die Zahl der Personen, die im Sklavenhandel tätig sind, und die Höhe des Kapitals, das in den Sklavenhandel investiert wurde, übersteigen unsere Rechenkünste. … Die Stadt New York war bis zuletzt (1862) der wichtigste Hafen der Welt für diesen schändlichen Handel.«
Jahrhundertelange Sklaverei; die absichtliche Zerstörung von Familien, Stämmen und Nationen; Menschen von ihren Religionen, ihren Clans, ihren Ehepartnern, Kindern, Ländern und allem, was sie kannten und liebten, wegzureißen, um eine Nation von Fremden aufzubauen und zu bereichern. Von Fremden, die diese Sklaverei nach ihrer angeblichen Abschaffung hundert Jahre lang weiter praktizierten und die Enkel der versklavten Menschen dem bitteren Leben einer Erziehung zur Ungleichheit, schlechten Wohnverhältnissen, einer zweitklassigen Gesundheitsversorgung, Unterbeschäftigung, den Grausamkeiten der Masseninhaftierungen und einem von Zynismus geprägten juristischen und politischen System auszusetzen, das sich endlos auf die weiße Vorherrschaft beruft … – reicht da eine rein politische Entschuldigung, um das alles abzudecken?
Übersetzung: Jürgen Heiser
Mit dem Kommentar von Mumia Abu-Jamal von 2008 und der Einleitung dazu mobilisierte der Newsblog Struggle for Socialism am 11. August 2020 für die »Kundgebung zum Tag der Reparationszahlungen«, die am 15. August in New York City vor dem Trump International Hotel stattfinden sollte. Sie erinnert an eine Kundgebung, mit der am 17. August 2002 zum ersten Mal die Forderung nach Reparationen für die afroamerikanische Bevölkerung als Wiedergutmachung für die erlittene Sklaverei an die US-Regierung gerichtet wurde. Der damalige Marsch »Millions for Reparations« fand in Washington D. C. statt und war die Antwort darauf, dass im Jahr 2001 auf der »Weltkonferenz der Vereinten Nationen gegen Rassismus« im südafrikanischen Durban der transatlantische Sklavenhandel als Verbrechen gegen die Menschlichkeit verurteilt wurde, für das Reparationszahlungen an die Nachkommen der Verbrechensopfer zu leisten seien. (jh)