Mumia Abu-Jamal * Link zum Artikel in junge Welt Nr. 185 vom 10. August 2020: Bitte HIER klicken![1]
Sozialer Pandemietest
In dem Maße, wie die Zahl der Toten unter denjenigen ansteigt, die der Lungenkrankheit Covid-19 erliegen, wächst in der Gesellschaft die Unzufriedenheit mit den Zumutungen der regierungsamtlichen Inkompetenz. Wie ich schon in einer meiner letzten Kolumnen erklärte, sind Politiker schlechte Mediziner. Ärzte haben in ihrer Ausbildung gelernt, Patienten die Wahrheit über ihre Krankheit zu sagen, auch wenn es keine guten Nachrichten sind. Politiker hingegen sind bemüht, ihr Publikum durch ausschließlich gute Nachrichten bei Laune zu halten. Schlechte Nachrichten sind nicht erlaubt. Aber wie die Coronapandemie gezeigt hat, ist es notwendig, die Wahrheit über sie zu erfahren, auch wenn es schlechte Nachrichten sind. Kein noch so fröhliches Geschwätz, keine noch so versüßten politischen Versprechungen können etwas an den düsteren Realitäten ändern, die das Virus schafft.
Und die Kinder? Sie werden dem Coronamonster leichtfertig zum Fraß vorgeworfen, damit die Politiker sicherstellen können, dass die Eltern an die Arbeit zurückkehren, um die Maschinen des Kapitals wieder in Schwung zu bringen. Kinder und Eltern werden zu lebenden Versuchsobjekten eines Experiments gemacht, indem sie gezwungen werden, an ihre Arbeitsplätze und in ihre Klassenzimmer zurückzukehren. Werden sie den sozialen Test der Pandemie überleben oder nicht?
Dieselben Kräfte in Politik und Wirtschaft, die dafür verantwortlich sind, dass Behörden und Unternehmen schon vor Wochen viel zu früh wieder geöffnet wurden, so dass sich die Infektionen mit dem Coronavirus erneut sprunghaft ausbreiten konnten, drängen nun mit Macht auf weitere Lockerungen. Das Ergebnis ist vorhersehbar: Die arbeitenden Menschen und ihre Kinder werden leichtfertig für politische Erfolge und ökonomische Gewinne geopfert.
Übersetzung: Jürgen Heiser
Bis zum 9. August haben sich in den USA nach Angaben der Johns-Hopkins-Universität knapp fünf Millionen Menschen mit dem Coronavirus infiziert, 162.425 erlagen der dadurch ausgelösten Lungenkrankheit Covid-19. US-Präsident Donald Trump betonte bei seinem jüngsten Vorstoß, die Wiedereröffnung der staatlichen Schulen durchzusetzen, am vergangenen Mittwoch, das Coronavirus werde »verschwinden, es wird verschwinden, Dinge verschwinden«. Und ergänzte, dass »Kinder nahezu immun« gegen das Virus seien. »Sie bekommen es vielleicht, aber es hat keine großen Auswirkungen auf sie«, fügte er hinzu.
Es kann nicht oft genug wiederholt werden, dass »Politiker schlechte Mediziner« sind. Denn obwohl sich Virologen einig darin sind, dass Kinder weniger akut an »Corona« erkranken, haben Studien gezeigt, dass jene, die älter als neun Jahre sind, das gleiche Potential wie Erwachsene haben, das Virus auf andere Menschen zu übertragen. Laut Statistik der US-Zentren für Krankheitsbekämpfung und Prävention (CDC) sind in den USA zudem »bisher über 240.000 Kinder an Covid-19 erkrankt«. Unter ihnen litten etwa 300 an einer seltenen entzündlichen Krankheit, dem sogenannten Kawasaki-ähnlichen Syndrom, das im Zusammenhang mit Covid-19 zu klinischen Komplikationen führen kann. (jh)