Mumia Abu-Jamal * Link zum Artikel in junge Welt Nr. 155 vom 6. Juli 2020: Bitte HIER klicken![1]
Neuer Wein in altem Schlauch
Seit Jahren, besser gesagt seit Jahrzehnten, wurde uns von führenden neoliberalen Politikern und ihren medialen Handlangern eine Fata Morgana sogenannter Reformen vorgegaukelt, und wieder und wieder erwachten wir zu spät aus grauenhaften Alpträumen von gebrochenen Versprechen und verratenen Hoffnungen. Diese »Reformen« sind Verrat, ein Pakt mit dem Teufel für angeblich bessere Zeiten, und am Ende kommen dabei immer nur noch schlechtere Zeiten heraus.
Im Moment ist die ganze Nation schockiert über die Brutalität, mit der George Floyd am 24. Mai in Minneapolis vor den Augen der ganzen Welt an einer Bordsteinkante von Polizisten hingerichtet wurde. Es ist fünf Jahre her, dass Politiker, die von sich behaupteten, »fortschrittlich« zu sein, der Öffentlichkeit die Illusion verkauften, es könnte eine Lösung zur Eindämmung der Polizeigewalt sein, wenn man Polizeibeamte mit Körperkameras ausrüstet. Doch was George Floyd widerfahren ist und dann nur kurz darauf, am 12. Juni, Rayshard Brooks in Atlanta, war so etwas wie der letzte Nagel für den Sarg, in dem diese Illusion begraben wurde. Denn weder das Handyvideo der Zeugen des Mordes an Floyd noch die Körperkameras der beiden an der Ermordung von Brooks beteiligten Polizisten haben die rassistische Polizeigewalt verhindert. Technik hat keine Bedeutung für das, worum es tatsächlich gehen müsste, nämlich das rassistische Verhalten der Cops zu verändern.
Auch die heutigen Vertreter der Polizeireformen im US-Kongress versprechen sehr viel, aber sie können und werden nur wenig davon umsetzen. Und so werden wieder nur neue Illusionen erzeugt. Reformen sind nichts anderes als Neuformulierungen alter Versprechen, die niemals eingelöst wurden. Sie sind alter Wein in neuen Schläuchen. Denn das ist das Wesen der kapitalistischen Gesellschaft: neue Waren zu verkaufen, die am Ende nur neue Probleme schaffen. Neue Zeiten erfordern jedoch neue Arten des Denkens. Sie brauchen Kreativität, sie brauchen einen tiefgreifenden Wandel, der nicht nur die Diskussionen, sondern die Beziehungen der Menschen zueinander wahrhaft verändert.
Aber wer wagt es heute zu sagen, dass die elende Gegenwart dieser Gesellschaft von einer Welle offener Unterdrückung überflutet wird, statt weiter die Lüge vom Polizisten als »Diener und Beschützer der Bürger« zu reproduzieren? Wer wagt es, offen von dem zu sprechen, was alltägliche Realität ist: Repression, Knechtung und gewaltsame Unterdrückung? Reformierte Unterdrückungssysteme können nichts anderes hervorbringen als das, was auch vorher da war. Um es mit den Worten von Huey P. Newton, einem der Gründer der »Black Panther Party for Self-Defense«, zu sagen: »Wir wollen Freiheit, keine weitere Reform!«
Übersetzung: Jürgen Heiser
Am vergangenen Samstag, dem 4. Juli – dem US-amerikanischen Unabhängigkeitstag – demonstrierten weltweit Bündnisse gegen Rassismus, Polizeiterror und soziale Unterdrückung. So auch in Philadelphia. Dazu hieß es in einem Aufruf des »Prisoner Solidarity Committee« der Workers World Party: »Es gibt nur einen Weg, die Diktatur der Polizei in unseren Städten zu beenden. Die Gefängnistore müssen sich öffnen, und auch Mumia Abu-Jamal – der bekannteste politische Gefangene der Welt und ein lebendiges Symbol des Kampfes gegen rassistische Polizeirepression und für die schwarze Befreiungsbewegung – muss hinaus in die Freiheit schreiten. Es kann in Philadelphia keine weitere Diskussion darüber geben, den Rassismus der Cops einzudämmen, solange Mumia nicht frei ist. Das ist die Grundvoraussetzung dafür, dass dieses Land in eine Zukunft ohne rassistischen Polizeiterror voranschreiten kann.« (jh)