Mumia Abu-Jamal * Link zum Artikel in junge Welt Nr. 109 vom 11. Mai 2020: Bitte HIER klicken![1]
Schützt euch und andere!
Der Frühling ist da. Junge Knospen sprießen aus zarten Zweigen der Sonne entgegen, um von ihrer Wärme umarmt zu werden. Aber in diesem Frühjahr tauchte plötzlich ein unerwarteter Besucher auf – das Coronavirus, das Menschen infiziert und die Lungenkrankheit Covid-19 auslöst. Bis zum Ende der vergangenen Woche waren in den Vereinigten Staaten von Amerika schon mindestens 70.000 Menschen an Covid-19 gestorben. Berichten zufolge ist das die weltweit höchste Zahl von Coronatoten in einem Land.
In gut Zweidritteln der US-Bundesstaaten hat der Frühling einen grausamen Auftakt gehabt, jetzt, da die Gouverneure die Pandemiebeschränkungen wieder zu schnell lockern, nachdem die Menschen zunächst aufgefordert worden waren, zu Hause zu bleiben. Nach Wochen des Wartens sind die Menschen müde und hungrig nach Sonnenschein, und sie fliehen aus den Häusern an öffentliche Orte und Plätze.
Wir Menschen sind von Natur aus soziale Wesen, wir sehnen uns nach Gesellschaft, nach Gesprächen und Umarmungen und, ja, nach Küssen. Aber wenn es nach dem listigen Coronavirus geht, dann kann für viele von uns, vielleicht sogar für Tausende, schon ein Kuss der Kuss des Todes sein.
Menschen in den Vereinigten Staaten wird beigebracht, dass sie von Natur aus außergewöhnlich sind und deshalb stärker, klüger und glücklicher als alle anderen. Kein gruseliges Virus kann uns stoppen, denken wir. Bis es uns den tödlichen Beweis erbringt, dass wir alle einfach nur Menschen sind – ausnahmslos.
Wartet nicht zu lange, diese wichtige Lektion zu lernen! Schützt euch und andere mit Masken! Haltet Abstand voneinander und sorgt dafür, dass ihr am Leben bleibt, damit ihr auch morgen noch kämpfen könnt!
Übersetzung: Jürgen Heiser
Als Begleitinformation zu Mumia Abu-Jamals Kolumne sandte Noelle Hanrahan von Prison Radio in San Francisco eine Nachricht mit dem Titel »Tod eines Künstlers« aus. Sie bezog sich auf den Gefangenen Timothy Bazrowx, der, wie erst jetzt bekannt wurde, am 23. April 2020 in Texas »nach Atemwegskomplikationen am Coronavirus« starb. Bazrowx habe sich infiziert, als er »unter Arbeitsbedingungen eines Ausbeuterbetriebes« Schutzmasken gegen das Virus produzierte. In einer Dauerschicht von sechs Uhr morgens bis 18 Uhr abends stand er Schulter an Schulter mit 65 anderen Häftlingen in einer Werkhalle und schuftete, um die vorgegebene Tagesquote von 2.500 Masken zu erfüllen. Er sei ein »talentierter Schriftsteller« gewesen, schreibt Hanrahan, der »über seine Kindheit in den 1960er Jahren, seine Abhängigkeit von Inhalationsdrogen, den Vietnamkrieg, das Verhalten der Gefängniswärter und viele andere Themen« schrieb. »Mit Humor, Präzision und Anmut«, so Hanrahan.
Sein Tod sei »nicht nur absolut vermeidbar gewesen«, sondern er verdeutliche auch die grausame Dynamik dieses Systems. »Er starb bei der Herstellung von Schutzmasken, damit wir atmen können.« Trotz der von der Gefängnisbehörde erlassenen »Richtlinien für soziale Distanzierung« sei seine Arbeit wie die unzähliger anderer Häftlinge weiter ausgebeutet worden, kritisiert Hanrahan, »weil Gefangene entbehrlich sind und als weniger menschlich angesehen werden«. Das sei »staatlich sanktionierte Sklaverei«. (jh)