Mumia Abu-Jamal * Link zum Artikel in junge Welt Nr. 126 vom 3. Juni 2019: Bitte HIER klicken![1]
Janet und Janine
Für zwei Frauen der Move-Organisation, Janet und Janine Africa, ist es Jahrzehnte her, dass sie sich frei in den Straßen von Philadelphia bewegen konnten. Jahrzehnte? Ja, seitdem sind tatsächlich über 40 Jahre vergangen! Exakt vor 41 Jahren war es, dass die Polizei in ihrem Zermürbungskrieg gegen die Move-Organisation deren Gemeinschaftshaus in West-Philadelphia mit einem Großaufgebot tagelang belagerte und schließlich am 8. August 1978 stürmte, nachdem sie es mit Wasserkanonen geflutet und Tausende Schüsse darauf abgefeuert hatte.
Was Move am 8. August 1978 an Unrecht geschah, wurde im Prozess gegen die damals verhafteten »Move 9« noch übertroffen, als Richter Edwin Malmed sie wegen gemeinschaftlichen Totschlags an einem Polizisten zu 30 bis 100 Jahren Gefängnis verurteilte. Dieser Polizist war beim Überfall auf das Move-Haus unter bis heute ungeklärten Umständen zu Tode gekommen. Höchstwahrscheinlich war er Opfer eines klassischen Falls von »Friendly Fire« geworden, also durch eine Kugel seiner eigenen Kollegen gestorben. Nach dem Urteil beantwortete Richter Malmed die Frage eines Radioreporters, wer den Polizisten getötet habe, mit dem historischen Ausspruch: »Ich habe nicht die leiseste Ahnung. Aber ich verurteile sie dafür alle gemeinschaftlich, weil sie sich selbst als Familie sehen.«
Vor wenigen Tagen konnten Janet und Janine nun endlich das Staatsgefängnis für Frauen in Cambridge Springs, Crawford County, im Nordwesten von Pennsylvania verlassen. Die beiden politischen Langzeitgefangenen wurden vor dem Gefängnistor bereits erwartet und bestiegen ein Auto, um ihre lang ersehnte Heimreise nach Philadelphia anzutreten. Fast ein Jahr war vergangen, seit ihre Move-Schwester Debbie Africa endlich ihre Freiheit zurückerhalten hatte, und vor sieben Monaten war auch Mike Africa wieder freigekommen. Schon im April 2009 hatten sich Mike und Debbie im Beisein ihrer Kinder und Enkel im Gefängnis das Jawort gegeben. Jetzt können sie endlich als Ehepaar in einem Haus zusammenleben, das ihr Sohn Mike jr. gebaut hat. Das einst schwarze Haar von Mike ist heute silbern und umrahmt sein bärtiges Gesicht. Debbie sieht erstaunlicherweise immer noch aus wie ein Teenager. Wenn das aus Beton und Gittern bestehende Unrecht uns irgend etwas gezeigt hat, dann die Stärke ihrer Liebe.
Für Janet und Janine war die erste Fahrt mit einem Auto nach vier Jahrzehnten eine Turboreise in die Zukunft, denn das Fahrzeug war mit den heute üblichen elektronischen Spielereien ausgestattet. Und so staunten die beiden Freigelassenen über die blinkenden Apparaturen, die es allesamt noch nicht gab, als sie mit Anfang zwanzig verhaftet wurden. Wirklich wichtig war für beide aber, dass sie nach 41 Jahren endlich wieder durch einen Park schlendern und den Duft von Blumen genießen konnten. Und jetzt wieder ungehindert durch die Straßen ihrer Stadt laufen zu können, auch wenn Philadelphia nach allen Erfahrungen für sie sicher niemals mehr die »Stadt der brüderlichen Liebe« sein kann.
Janet und Janine sind die letzten beiden Frauen, die von den »Move 9« noch hinter Gittern saßen. Nachdem Merle und Phil Africa in der Haft gestorben sind, haben nur sieben der »Move 9« überlebt. Nun warten noch Chuck, Delbert und Eddie Africa darauf, dass sie auf Bewährung entlassen werden. Die Voraussetzungen dafür erfüllen sie nachweislich schon seit über zehn Jahren.
Übersetzung: Jürgen Heiser