Freedom Now! Online Bulletin Nr. 14/1. Januar 2003
Beitrag von Funkhaus Europa[1], eine Kooperation von Radio Bremen (FM 96,7) und Westdeutscher Rundfunk (FM 103,3), die unter dem Motto »grenzenlos« ein gemeinsames Wochenprogramm mit Politik und Kultur senden.
Der Beitrag wurde am 30.11.02 in der Sendung »Vis à vis« ausgestrahlt, die ab 1.1.03 eine Stunde früher, also jeden Samstag von 12:05-13:00 läuft.
Autor: Jürgen Heiser
Anmoderation der Studioredakteurin:
US-Präsident Bush hat in dieser Woche ein neues Superministerium vorgestellt. Bedeuten größere Machtbefugnisse für das neue »Heimatschutzministerium« – »Department of Homeland Security«–- auch eine Gefahr für die Bürgerrechte? Der Fall der New Yorker Rechtsanwältin Lynne Stewart wirft Fragen auf, die auch in Europa diskutiert werden.
Präsident Bush unterzeichnete zu Beginn der Woche das Gesetz für das neue Ministerium, unter dessen Dach 22 bislang nebeneinander und manchmal auch – wie die Bundespolizei FBI und der Geheimdienst CIA – gegeneinander operierende Bundesbehörden einer einheitlichen Führung untergeordnet werden sollen.
»Wir haben eine Nation von großen Ausmaßen zu verteidigen«, erklärte Präsident Bush vor versammelten Kongreßabgeordneten bei der Vorstellung des neuen Ministeriums. Nicht jeder erdenkliche Angriff könne vorausgesehen oder verhindert werden. Keine Regierungsstelle könne allumfassende Sicherheit vor »ruchlosen Mördern« garantieren, die heimlich Komplotte schmiedeten. Bushs Regierung werde aber alle gebotenen Maßnahmen ergreifen, um Land und Volk zu schützen.
Die Schaffung dieses Ministeriums, das zunächst mit einem Etat von 40 Milliarden Dollar ausgestattet wurde und 170.000 Beamte umfaßt, hatte der bereits am 5. Oktober letzten Jahres berufene Koordinator Thomas Ridge in die Wege geleitet. Der Republikaner Ridge, als konservativer Hardliner seiner Partei bekannt, war bis zu seiner Berufung nach Washington Gouverneur von Pennsylvania und vor dem Regierungsantritt von George W. Bush als dessen Vize im Gespräch. In Deutschland und einigen Nachbarländern war Ridge bislang nur denen bekannt, die sich wegen seiner Unterzeichnung zahlreicher Hinrichtungsbefehle mit Petitionen an ihn gewandt hatten.
»Wir können kein unfehlbares, perfektes System versprechen«, sagt Ridge, »aber wir müssen jeden Tag an jedem Punkt der Ermittlung von potentiellen terroristischen Angriffen das Rechte tun.«
Bürgerrechtsorganisationen wie die American Civil Liberties Union und Standesvertretungen der Rechtsanwälte wie die National Lawyers Guild weisen seit Monaten auf den Fall der New Yorker Anwältin Lynne Stewart[2] hin, einen Fall, der eben jenes rechte Handeln der zuständigen Sicherheitsbehörden vermissen lasse. Die 62-jährige Anwältin, hochangesehen und mit Preisen für ihre Zivilcourage bedacht, hat einen Mandanten vertreten, der auch vor dem 11. September 2001 kaum Freunde in den USA hatte: Den blinden Ägypter Sheikh Rahman. Sheikh Rahman ist in seiner Heimat ein angesehener muslimischer Geistlicher und Gelehrter, der allerdings wegen seiner fundmentalistischen Haltung gegenüber der Regierung Mubarak dort nicht gut gelitten war und in die USA emigrierte. Hier wurde er verurteilt, 1993 Bomben im World Trade Center gezündet zu haben. Weil er auch Jahre nach seiner Verurteilung immer noch einer verschärften Kontaktsperre unterworfen wurde, wandte sich seine Verteidigerin mit Presseerklärungen an die Öffentlichkeit. Das war im Jahr 2000. Reaktion der Behörden: Entzug des Mandats und erst nach Monaten erneute Zulassung
Dann kam der 11. September und eine der Antworten der Bush-Regierung war das »Patriotische Gesetz« – the Patriot Act – eine in hohem Tempo verabschiedete Novelle von Gesetzen der Inneren Sicherheit.
Nachträgliche Folge für Lynne Stewart: Im April 2002 wurde ihre Kanzlei in Manhattan durchsucht, sie selber wurde verhaftet und erst gegen Kaution von einer halben Million Dollar wieder auf freien Fuß gesetzt. Tenor der Anklage: »Materielle Unterstützung einer terroristischen Vereinigung«. Begründung: die eben erwähnten Pressemitteilungen für ihren Mandanten. Außerdem habe sie Gefängnisbeamte abgelenkt, um ihrem Mandanten die Übermittlung von geheimen Nachrichten in arabischer Sprache an andere Gefangene zu ermöglichen.
Lynne Stewart weist diese Vorwürfe zurück.
Für sie und viele ihrer Anwaltskollegen ist ausgemacht, daß es um die Einschüchterung ihres Berufsstandes geht. Man habe sich gerade eine Anwältin ausgesucht, deren Mandant in den USA verfemt sei, um an ihr ein Exempel zu statuieren. Im Falle einer Verurteilung drohten ihr bis zu 40 Jahre Haft. Für die Zukunft solle so verhindert werden, daß bestimmte Gruppierungen von Angeklagten überhaupt noch eine angemessene Verteidigung bekämen.
Zum Beispiel die in den USA lebenden Iraker, die im Falle eines Krieges interniert werden sollen, wie ein Sprecher der Bush-Administration unlängst verlauten ließ.
Thomas Ridge wird sich fragen lassen müssen, ob der Heimatschutz für ihn auch die Verteidigung der Bürgerrechte einschließt.