Mumia Abu-Jamal * Link zum Artikel in junge Welt Nr. 263 vom 12. November 2018: Bitte HIER klicken![1]
Hetze und Angstmache
Wer vor den jüngsten Zwischenwahlen in den USA auf die veröffentlichten Umfrageergebnisse vertraute, musste annehmen, dass es am 6. November zu einem »politischen Erdbeben« kommen würde. In den Medien erzählten die Reporter geradezu atemlos ihre Geschichten über die zu erwartende »blaue Welle« der Siege von Kandidatinnen und Kandidaten der Demokratischen Partei. Deren politische Symbolfarbe Blau steht traditionell im Gegensatz zum Rot der Republikanischen Partei. Für die Medienmacher schien die Welle des Übergangs der Mehrheit der republikanischen Mandate von Senat und Repräsentantenhaus zu ihren Gegnern der Demokratischen Partei so gut wie sicher.
Wer sich diese optimistische Vorausschau auf den Ausgang der Zwischenwahlen leichtfertig zu eigen machte, hätte nur noch einmal genau auf die Präsidentschaftswahlen von 2016 zurückblicken müssen, um eines besseren belehrt zu werden. Denn die damals wie selbstverständlich auf einen Sieg der demokratischen Kandidatin Hillary Clinton hinweisenden Prognosen erwiesen sich am Ende als so mangelhaft wie der Versuch vorherzusagen, welche Lottozahlen als nächste gezogen werden.
Umfragen können nichts anderes sein als zeitlich sehr eingegrenzte Momentaufnahmen. Sie geben Stimmungslagen in der Bevölkerung wieder, die so wechselhaft sein können wie das Wetter. Was Regen und kalte Temperaturen indes tatsächlich bewirken können, ist eine geringere Wahlbeteiligung, weil nur die Hartgesottenen unter den Wählern den Unbilden der Witterung trotzen, um an den Wahlurnen über die Zukunft der Nation zu entscheiden.
Im Wahlkampf der letzten Wochen wurden wir Zeugen einer Politik, die auf Angstmache setzte und den Hass auf bestimmte Bevölkerungsgruppen schürte – auf die »anderen«. Eben auf all jene, die »anders sind als wir«. Aber gehören »wir« denn nicht selbst auch zu jenen »anderen«?
Es ist durchaus interessant, dass im Zusammenhang mit Trumps Hetzkampagne gegen die Migrantenkarawane aus Mittelamerika, die sich durch Mexiko auf die Vereinigten Staaten zubewegt, immer wieder das Wort »Invaders« fiel. Ausgerechnet jene Menschen, die vor Gewalt und Armut in ihren Heimatländern fliehen und in den USA auf ein besseres Leben hoffen, sollen also angeblich »Eindringlinge« oder »Invasoren« sein. Wer jedoch heute in Nordamerika lebt, gehört mit Ausnahme der amerikanischen Ureinwohner, der sogenannten First Nations, und der als Sklaven verschleppten Afrikaner selbst zu den wahren »Eindringlingen«. Diese im 18. und 19. Jahrhundert aus Europa auswandernden Gestrauchelten oder vor Not und Verfolgung Flüchtenden kamen als Eroberer und Siedler in die Neue Welt. Sie drangen gewaltsam in das Land der Ureinwohner vor und schlachteten Millionen der von ihnen als »Indianer« bezeichneten Menschen ab. Diesen Invasoren ging es um die Eroberung neuen »Lebensraums« für weiße Europäer, wie ihn später die Nazi-Wehrmacht von Deutschland aus für deutsche Arier auf die ganze Welt ausdehnen wollte.
Politik kann entweder die Furcht voreinander unter Menschen schüren und sie zu Feinden machen, oder sie kann sie dazu bringen, sich zu vereinen und sich für die gemeinsame Sache zusammenzuschließen. Die Zeit wird zeigen, welche Richtung obsiegen wird.
Übersetzung: Jürgen Heiser