Mumia Abu-Jamal * Link zum Artikel in junge Welt Nr. 239 vom 15. Oktober 2018: Bitte HIER klicken![1]
Schwarze Roben
Wir alle sind darauf konditioniert, die in furchteinflößende schwarze Roben gekleideten Richter als Menschen anzusehen, die normalen, durchschnittlichen Männern und Frauen überlegen sind. Oberflächlich betrachtet, verleihen die Roben ihnen einen Hauch von Ernsthaftigkeit, Weisheit und Bestimmtheit, das ist vergleichbar mit der Wirkung der Gewänder von Priestern, Nonnen und Mönchen.
In Wahrheit sind Richterinnen und Richter uns nicht nur ähnlich, sie sind vielmehr Menschen wie du und ich. Auch sie können wütend, ehrgeizig, voreingenommen und niederträchtig sein, wie wir alle. Im Richteramt sind sie jedoch dazu angehalten, zurückhaltend zu agieren und sich nicht in jedes Schlachtgetümmel zu stürzen. Das mildert indes nicht die Urteile, die sie fällen.
Im Jahr 1857 begründete Roger Brooke Taney (1777–1864), Vorsitzender Richter am Obersten Gerichtshof der USA, seine Grundsatzentscheidung im berüchtigten Verfahren »Dred Scott gegen Sandford« damit, dass als die Verfassung verabschiedet worden sei, Schwarze angesehen worden wären »als Wesen einer niederen Ordnung, die insgesamt unfähig sind, sich mit der weißen Rasse zu verbinden, weder in gesellschaftlicher noch in politischer Beziehung; und zwar so viel tiefer stehend, dass sie keine Rechte hatten, die der weiße Mann zu respektieren verpflichtet gewesen wäre, und dass der Neger zu seinem eigenen Wohl nach Recht und Gesetz auf die Sklaverei beschränkt wurde«.
Während er auf diese Weise der Aufrechterhaltung der Sklaverei Verfassungsrang verlieh, trug Taney eine schwarze Robe. Siebzig Jahre später sprach sich dasselbe Oberste Gericht im Fall »Buck gegen Bell« für die legale Sterilisierung von Menschen aus, denen bescheinigt wurde, geistig zurückgeblieben zu sein. Die Richter, die an dieser Entscheidung beteiligt waren, trugen ebenfalls schwarze Roben.
Als 1944 vor demselben höchsten Verfassungsgericht im Verfahren »Fred Korematsu gegen die Vereinigte Staaten« die massenhafte Internierung von US-Bürgern abgesegnet wurde, nur weil sie oder ihre Vorfahren aus dem japanischen Kaiserreich eingewandert waren, das zu jener Zeit Krieg gegen die USA führte, da waren auch alle an dieser Grundsatzentscheidung mitwirkenden Richter in schwarze Roben gekleidet.
Diese Beispiele zeigen: Roben, egal welcher Farbe sie sind, sind auch nur ein Fetzen Stoff, und viele dieser Unrechtsurteile wurden von Männern in ebendieser traditionellen Uniform des Richterstandes gefällt.
Was uns zu dem abschließenden Punkt führt, dass wir nach der Ernennung von Brett Kavanaugh zum Richter in der Tat vieles über das »neue Machtgleichgewicht« zwischen konservativen und liberalen Kräften am Obersten Gerichtshof der USA zu hören bekommen werden. Zweifle also niemand daran, dass dieses Gericht weiterhin höchst politisch agieren wird. Gewiss ist alle Justiz politisch, denn das Gesetz ist nichts anderes als die Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln. Wer die Anhörungen des Justizausschusses im US-Senat wegen der Berufung von Kavanaugh an den Obersten Gerichtshof in Washington D. C. verfolgte, konnte sehen, wie seine Maske fiel, während er vernommen wurde. Wutschnaubend reagierte er auf die Vorwürfe mehrerer Frauen, sie als junger Mann sexuell missbraucht zu haben, und bezeichnete das Nominierungsverfahren verächtlich als »nationale Schande« und sich selbst als Opfer einer »kalkulierten und orchestrierten« politischen Kampagne. Glaubt wirklich jemand, eine Richterrobe würde an einem solchen Verhalten etwas ändern?
Übersetzung: Jürgen Heiser