Mumia Abu-Jamal * Link zum Artikel in junge Welt Nr. 192 vom 20. August 2018: Bitte HIER klicken![1]
Spur des Geldes
Das Buch »Follow the Money: Radio Voices for Peace and Justice« (»Folge der Spur des Geldes: Radiostimmen für Frieden und Gerechtigkeit«) löste in mir eine merkwürdige Mischung von Gefühlen aus: Faszination, Empörung, Ehrfurcht und Zorn. Ich lernte beim Lesen eine Menge, lernte vor allem erstaunliche Leute kennen, von denen ich noch nie zuvor gehört hatte. Beim Lesen beschlich mich aber noch ein anderes Gefühl: Neid. Warum? Weil wir in Pennsylvanias Gefängnissen mehr als 51.000 eingesperrte Menschen sind, aber niemand von uns die Radiosendung »Flashpoints« von Dennis Bernstein, dem Autor des Buches, hören kann. Denn uns trennen fast 5.000 Kilometer vom nichtkommerziellen Sender KPFA, der im kalifornischen Berkeley ansässig ist. Zudem verfügen wir in unseren Zellen nicht über einen Internetzugang und können das Programm also auch nicht online hören. So verhallten die mitreißenden und zutiefst bewegenden Gespräche, die Dennis mit den Gästen seiner Sendung führte, bislang von uns ungehört.
Nun liegen 66 dieser bemerkenswerten Interviews in gedruckter Form vor und breiten vor ihrer Leserschaft eine unermessliche Welt gesellschaftlicher, ökologischer, gewerkschaftlicher, politischer, rechtlicher und Gender-Themen aus. Damit erreichen sie weitaus mehr Menschen, als es KPFA, das zum Pacifica Radio Network gehört, mit seiner Sendefrequenz je vermocht hätte.
Bernstein hat einen der besten Jobs in der Welt. Er spricht mit faszinierenden Menschen aus unterschiedlichsten Lebensbereichen, von denen die Mehrheit sich in den härtesten Kämpfen unserer Zeit engagieren: gegen die Schnüffelei von staatlichen Behörden und Unternehmen; gegen die wachsende Repressionsmaschinerie, die sich vor allem gegen Menschen mit schwarzer und brauner Hautfarbe richtet; gegen die Unterdrückung geschlechtlicher und sexueller Identität; gegen den brutalen Krieg gegen Geflüchtete an den Grenzen; gegen die Kriege, deren Opfer die Völker der Welt und die Umwelt sind; gegen den Schrecken, den das palästinensische Volk unter der zionistischen Apartheidbesatzung erleidet, und vieles mehr.
Das Buch löst auch Gefühle des Zorns aus, weil wir erfahren, dass die Konzernmedien in ihrer Komplizenschaft mit dem Kapital viele Kämpfe einfach ignorieren. Da gibt es Hunderte von verschwiegenen Geschichten, über die sie hätten berichten können oder müssen. Sie verstoßen jedoch weitgehend gegen ihre Pflicht, die Öffentlichkeit wahrheitsgemäß zu informieren. Statt dessen sehen die US-Medien ihre Aufgabe hauptsächlich im »Infotainment«, womit sie ihre Leser, Zuhörer und Zuschauer täuschen, ablenken und einlullen.
Wie soll man sich beim Lesen dieser Interviews auch nicht ärgern, wenn sie doch klar beweisen, dass die Nachrichten der Konzernmedien leeres Gewäsch sind, das die Wahrheit hinter einer Nebelwand verschwinden lässt? Bernsteins »Flashpoints«-Interviews wirken da wie ein starker Suchscheinwerfer, der den Nebel durchdringt und Orientierung bietet.
Es ist heutzutage üblich, dass sich besonders die jüngeren Leute in die »guten alten Zeiten« der 1960er Jahre zurücksehnen und darüber lamentieren, dass Bewegungen, wie es sie damals gab, heute fehlten. Wer aber Bernsteins Buch liest, kommt unweigerlich zu einem anderen Schluss, denn die Interviews zeigen, dass dieses Land heute vor Bewegungen geradezu strotzt. Ihre Protagonisten kämpfen mit Hoffnung, Phantasie und Liebe gegen die Kräfte der Habgier, der Ausbeutung und Enteignung, entfesselt von den Günstlingen des Kapitalismus, des Rassismus und Militarismus und einer Staatsmacht, die Unrecht zu Recht erklärt. Dennis Bernstein hat den Hörern seiner Sendung »Flashpoints« einige wirklich bemerkenswerte Stimmen beherzter Aktivistinnen und Aktivisten zu Ohren gebracht. Über das Buch können diese wunderbaren Stimmen nun auch zu neuen Kreisen von Lesern sprechen – nicht nur in den Knästen, wo, nebenbei bemerkt, viele Leser diese Art von Literatur mit großem Heißhunger verschlingen. Nicht nur in den USA, sondern auf der ganzen Welt. Deshalb fand ich diese Interviews erhellend und höchst erfreulich zugleich. Mein Dank an Dennis dafür!
Übersetzung: Jürgen Heiser