Link zum Artikel in junge Welt Nr. 15 vom 29. Januar 2018: Bitte HIER klicken![1]
Sklavenarbeit in Knästen
In den Gefängnissen des US-Bundesstaats Florida breitet sich ein Arbeitsstreik aus, den Häftlinge laut The Intercept in mindestens acht Haftanstalten am diesjährigen Martin-Luther-King-Gedenktag am 15. Januar begonnen haben. Die »Operation PUSH« ist auf vier Wochen befristet und soll sich zu einem Generalstreik hinter Gittern entwickeln, um »die Sklavenarbeit in den Knästen zu beenden«. Den Namen »PUSH« (etwa »vorantreiben«, zugleich Abkürzung für »People United to Save Humanity«, »Leute vereint zur Rettung der Menschheit«) haben die Initiatoren der gleichnamigen Kampagne Jesse Jacksons entlehnt, mit der zur Zeit der Bürgerrechtsbewegung in den 1970er Jahren eine Verbesserung der ökonomischen Bedingungen der afroamerikanischen Bevölkerung erkämpft werden sollte. Heute ist ein Drittel aller Zwangsarbeit leistenden Gefangenen in Florida schwarz, bei nur 17 Prozent Anteil der Schwarzen an der Gesamtbevölkerung. Der monatelang vorbereitete Streik ist der dritte Versuch in jüngerer Zeit, die unmenschlichen Haftbedingungen anzuprangern und zu verändern.
Zwei Wochen nach Streikbeginn ist die aktuelle Lage hinter den Mauern auch für die Unterstützer draußen nur in Teilen bekannt, da die Streikenden sofort isoliert wurden und die Anstaltsleitungen eine Nachrichtensperre verhängten. Das Incarcerated Workers Organizing Committee (IWOC), eine von Häftlingen und ihren Unterstützern gegründete Sektion der Industrial Workers of the World, berichtet auf seiner Website von »Tagen des Schweigens« nach Beginn des Streiks. Sicher sei, dass es in 15 Staatsgefängnissen »eine aktive Beteiligung am Streik sowie Repressalien der einen oder anderen Art« gibt, so in den Landkreisen Jackson, Gulf, Hamilton, Calhoun und Martin sowie in Avon Park. Diese Liste wachse »täglich weiter an«, so das IWOC.
Wie Julie L. Jones für die Gefängnisbehörde Florida Department of Corrections (FDC) eine Woche nach Beginn des Streiks der Presse schriftlich erklärte, gebe es »keine Störungen täglicher Abläufe in den Staatsgefängnissen des Landes« mit ihren 97.000 Insassen. Jones räumte ein, es habe in zwei Fällen Proteste von Bürgern vor dem Eingangsbereich, dem medizinischen Zentrum und der Hauptverwaltung des FDC gegeben. Der »sichere Betrieb unserer Vollzugsanstalten« sei jedoch »weiterhin gewährleistet«. Über »Arbeitsniederlegungen und Streiks von Insassen« sei »nichts bekannt«. Diese Insassen arbeiteten in der Wäscherei, der Küche, als Reinigungskräfte und in Arbeitskommandos außerhalb der Anstalten. Gemeint sind damit Überstellungen an Industriebetriebe sowie Einsätze in Straßenbau, Forst- und Landwirtschaft und in der Brandbekämpfung. Für diese Dienste erhielten die Insassen keine Bezahlung, so Jones für das FDC.
Genau deshalb fordern die Gefangenen in ihrer Streikerklärung eine »angemessene Entlohnung für die Zwangsarbeit«, die sie in den genannten Arbeitsbereichen und auch als Katastrophenhelfer nach dem Hurrikan »Irma« im letzten September verrichten mussten. Gegenüber dem britischen The Guardian bezeichnete ein Menschenrechtsaktivist die Zwangsarbeit hinter Gittern als »Arbeit mit vorgehaltener Waffe«.
Statt also einen Lohn zu erhalten, mit dem die Häftlinge auch ihre Familien unterstützen könnten, werden die Arbeitsstunden nur auf einem Zeitkonto gutgeschrieben, für das »bei guter Führung« eine Reduzierung der jeweiligen Zeitstrafen in Aussicht gestellt wird. Die Anwältin Jacqueline Azis von der American Civil Liberties Union erklärte nach Streikbeginn, dazu käme es jedoch nur in seltenen Fällen. In der Realität würden »Gefängniswärter und andere Beamte Wege finden, Disziplinarstrafen zu verhängen«. Wie ihr die Häftlinge berichteten, handele es sich in der Regel »um erfundene Gründe, mit denen dann die ursprüngliche Haftstrafe sogar noch verlängert« werde.
Strafen werden in der Regel schon von den Gerichten übermäßig hoch bemessen, weil die Strafgefangenen als unbezahlte Zwangsarbeiter so noch größere Profite für Staat und Wirtschaft abwerfen. Der Streik zielt deshalb auch auf eine Reform der Bewährungsregelungen, mit denen Langzeitstrafen legal verkürzt werden können. In ihrer Erklärung kritisieren die Häftlinge die »astronomisch langen Haftstrafen«. Ohne Aussicht auf ein Leben nach dem Knast wollen sich die Häftlinge dem Regime des gefängnisindustriellen Komplexes nicht mehr länger widerstandslos unterwerfen, wie das IWOC betonte.
Auf seiner Website erklärte das Komitee Ende vergangener Woche, im Rahmen der »Operation PUSH« sei »wiederholt zu einem bedächtigen und stetigen Prozess der Nichtteilnahme an der Arbeit« aufgefordert worden, um »durch die ökonomischen Auswirkungen Druck zu erzeugen«. Als Reaktion darauf scheine die Gefängnisbehörde derzeit »eher zu Ansätzen psychologischer Kriegführung mit geringer Intensität als zu stumpfer Gewalt« zu greifen. Deshalb werde der Streik gegenüber den Medien geleugnet und die Öffentlichkeit durch Reduzierung des Gefangenenprotests auf eine angebliche »Kritik an den Kantinenpreisen« irregeleitet.
Die Solidaritätsbewegung mit den Streikenden wächst trotzdem. Allein in Florida unterstützen mehr als 100 Organisationen die Häftlinge, wie die Plattform Liberationnews.org der Party for Socialism and Liberation meldet. Landesweit stehen die Anwaltsvereinigung National Lawyer’s Guild und der Dachverband schwarzer Gewerkschafter Coalition of Black Trade Unionists mit 50 Einzelgewerkschaften hinter dem IWOC. Auf zahlreichen Veranstaltungen zum Martin-Luther-King-Tag und auf Kundgebungen des »Women’s March« gegen die Trump-Regierung, an dem sich am 20. Januar landesweit Hunderttausende beteiligten, riefen Rednerinnen wie die Bürgerrechtlerin Angela Davis auf, die streikenden Gefangenen zu unterstützen. Dies sei »die beste Form des Gedenkens an Martin Luther King und den Kampf der Bürgerrechtsbewegung«.
Jürgen Heiser