Kolumne # 843 vom 13.02.2017: Gedichte des Widerstands

13.02.17 (von maj) Wer Freude daran hat, Gedichte zu lesen, der sollte sich den Band »Our Lives Matter« – »Unsere Leben zählen!« – besorgen

Mumia Abu-Jamal * Link zum Artikel in junge Welt Nr. 37 vom 13. Februar 2017: Bitte HIER klicken![1]

Gedichte des Widerstands
Als ich den neuen Gedichtband des US-Autors Rob G. Kelly in die Hände nahm, sprang mir sein Titel »Our Lives Matter« wie ein Aufschrei entgegen: »Unsere Leben zählen!« In einer Zeit, in der die Konzernmedien die schwarze Jugendbewegung oft ganz allgemein mit der Bewegung »Black Lives Matter« gleichsetzt, scheinen diese Gedichte ganz besonders für die Aktivisten dieser Bewegung geschrieben worden zu sein. Dafür spricht die Thematisierung der Motive, die die schwarze Jugend dazu trieben, ihren feurigen Protest auf die Straße zu tragen, wie auch der großen Gefahren, denen sie sich oftmals in den Demonstrationen ausgesetzt sahen. Hier sei an das Beispiel der Stadt Ferguson (Missouri) erinnert, in der Männer, Frauen und Kinder sich gegen Polizisten wehren mussten, die ihnen mit Kriegswaffen gegenübertraten und ihren Protest zu unterdrücken versuchten. Zusammen mit den Namen von Mike Brown, Rekia Boyd, Freddie Gray und vielen anderen Opfern rassistischer Polizeigewalt hallen diese Kämpfe in Kellys Dichtung wider wie ein Echo aus der Vergangenheit und sind Stoff und Substanz seiner Hymnen zu Ehren der Ermordeten.

Kellys Verse sind wie auf Papier festgehaltene Gebete, die wie Drachen in Schicksalsstürmen aufsteigen oder wie zarte Vogelküken aus dem stählernen Nest eines Gefängnisses fallen. Mit seinen Gedichten, die so spannend wie einfallsreich sind, lässt uns der Autor teilhaben an seinem Schmerz, seinen Träumen, seinen Visionen und Hoffnungen. Wunderbar, wie er in dem Gedicht mit dem überraschenden Titel »Tonight I date the rain« (etwa »Heute abend hab ich ein Rendezvous mit dem Regen«) mit Worten spielt und sie liebevoll streichelt.

Kelly ist ein besonnener junger Mann, der schon auf langjährige eigene Erfahrungen in den Abgründen der Gefängnisse zurückschaut und deshalb nicht nur das dort existierende sehnsuchtsvolle Verlangen, sondern die größten und geheimsten Hoffnungen im Leben von Afrikanern in Amerika gefühlt hat und auszudrücken vermag. Wenn er in diesem Zusammenhang den kulturellen Begriff »Nubier« benutzt (wie es viele junge Schwarze in ihrer Rückbesinnung auf ihre afrikanischen Wurzeln tun; jW), dann scheint darin kein Gefühl der Angst auf, wie sie sonst für Schwarze in den USA allgegenwärtig ist.

Aufgeteilt in drei Kapitel setzt er sich mit dem amerikanischen Sklavenhandel, den turbulenten Zeiten der 1960er und 1970er Jahre bis hin zu den zahlreichen relevanten und aktuellen Ereignissen auseinander. Dabei schafft er ein Dreiecksverhältnis aus Begehren, rechtschaffener Entrüstung und zartfühlender Liebe. Kelly ist klug genug, ältere Dichterkolleginnen wie Gwendolyn Brooks (1917–2000) und Sonia Sanchez, die ihn inspiriert haben, zu respektieren und zu erhöhen. Wer Freude daran hat, Gedichte zu lesen, der sollte sich den Band »Our Lives Matter« besorgen und ihn verschlingen, um seine Seele zu bereichern und zu heilen.

Übersetzung: Jürgen Heiser


Links im Artikel: 1
[1] https://www.jungewelt.de/2017/02-13/027.php?sstr=gedichte%7cdes%7cwiderstands

Ausdruck von: http://freedom-now.de/news/artikel1505.html
Stand: 23.11.2024 um 14:58:22 Uhr