Mumia Abu-Jamal * Link zum Artikel in junge Welt Nr. 201 vom 29. August 2016: Bitte HIER klicken![1]
Neue Chance für Shorty
Es ist schon ein paar Jahre her, dass ein für das östliche Pennsylvania zuständiges US-Bezirksgericht dem zum Tode verurteilten Jimmy Dennis – seinen Freunden im Todestrakt besser bekannt als »Shorty« – einen neuen Prozess gewährte. In dieser Berufungsentscheidung des Jahres 2013 ordnete Richterin Anita Brody an, gegen Dennis müsse ein neuer Prozess durchgeführt werden, oder er sei nach Ablauf von 140 Tagen bedingungslos freizulassen. Der Bezirksankläger von Philadelphia bekam daraufhin einen staatsanwaltschaftlichen Tobsuchtsanfall. In der Folge hob ein aus nur drei Richtern bestehendes Gremium des US-Bundesberufungsgerichts die Entscheidung von Richterin Brody auf und setzte das Todesurteil gegen Dennis wieder in Kraft. Erneut sah sich Shorty einem tragischen Schicksal ausgesetzt.
Am 23. August hat nun dasselbe US-Bundesberufungsgericht in der eher seltenen Vollbesetzung mit allen seinen Richtern die Entscheidung getroffen, Shortys Habeas-Corpus-Antrag anzunehmen und ihm durch die damit verbundene Überprüfung der Rechtmäßigkeit seiner Haft erneut eine Perspektive zu geben, die ihm die Türen zur Freiheit öffnen könnte. Um zu dieser Entscheidung zu kommen, hatten die Richter feststellen müssen, dass die Staatsanwaltschaft das ungerechtfertigte Todesurteil nur durch gefälschte Zeugenaussagen absichern konnte und dabei eigene politische Interessen verfolgte.
Nach Ansicht von gut einem halben Dutzend Zeugen soll Shorty 1991 eine attraktive High-School-Schülerin umgebracht haben. Die Verteidigung stützte sich damals vor allem auf das Alibi ihres Mandanten, das belegte, dass er gar nicht am Tatort gewesen sein konnte. Der zweite wesentliche Punkt der Verteidigungsstrategie drückt sich schon in Dennis' Spitznamen Shorty aus, der ihm einst wegen seiner geringen Körpergröße gegeben wurde. Die meisten Augenzeugen des Raubmordes beschrieben den Täter nämlich als jemanden, der mindestens einen Kopf größer war als Shorty. Die Zeugen hatten sich das deshalb gemerkt, weil die Ermordete relativ groß war, auf jeden Fall auffällig größer als Shorty, der Täter sei jedoch größer gewesen als sein Opfer.
Und das Alibi? Shorty hatte vor den Ermittlern ausgesagt, er habe zum Zeitpunkt des Mordes um ein Uhr mittags eine Bekannte in einem Bus am anderen Ende der Stadt getroffen. Die Frau, um die es ging, sagte vor der Polizei aus, sie habe Shorty im Bus gesehen. Zur Glaubhaftmachung legte sie eine Bescheinigung des Sozialamts vor, zu dem sie an jenem Tag mit dem Bus gefahren war. In der Bescheinigung war vermerkt, dass sie das Amt um 13 Uhr aufgesucht hatte. Allerdings schaffte es der Staatsanwalt in der Gerichtsverhandlung, die Zeugin zu verwirren, so dass sie im Zeugenstand aussagte, sie sei »etwa um 15 Uhr« im Amt angekommen, obwohl die amtliche Bescheinigung die richtige Uhrzeit angibt. Der Zeugin war aber überhaupt nicht klar, wie wichtig die Zeitangabe »13 Uhr« war.
Eine Mehrheit von neun Richtern des US-Bundesberufungsgerichts ordnete nun an, dass Dennis einen neuen Prozess bekommen soll. Vier Richter stimmten dagegen. Nach 24 Jahren im Todestrakt ist Jimmy »Shorty« Dennis seiner Heimkehr nach Hause so nah wie nie zuvor, und sein langer Marsch in die Freiheit könnte ihn nun endlich ans Ziel bringen.
Übersetzung: Jürgen Heiser