Kolumne # 818 vom 22.08.2016: Baltimore Blues

22.08.16 (von maj) Erst nach dem Polizeimord an dem Schwarzen Freddie Gray kam der massenhafte Bruch der Verfassung durch die Polizei in Baltimore endlich ans Licht

Mumia Abu-Jamal * Link zum Artikel in junge Welt Nr. 195 vom 22. August 2016: Bitte HIER klicken![1]

Baltimore Blues
Die wunderbare und wunderschöne Nina Simone singt in ihrem klassischen Lamento »Baltimore« über eine »Stadt am Meer«, allerdings eine, aus der sie fliehen möchte, weil das Leben dort so hart und die Stadt so schäbig ist. Im unvergessenen Refrain des Songs singt sie gleichzeitig über ihre Liebe zu dieser Stadt und über ihre Sehnsucht, woanders hinzugehen: »Oh, Baltimore. Ain’t it hard just to live? Just to live« (»Ach, Baltimore. Ist es nicht schon schwierig genug, nur zu leben? Nur zu leben«).
Simones tiefe, dunkle Altstimme kam mir in den Sinn, als ich von dem amtlichen Untersuchungsbericht über die perfide Praxis der Polizei von Baltimore hörte, der es anscheinend nur darum geht, den schwarzen Einwohnern das Leben so schwer wie möglich zu machen. Laut dem vom US-Justizministerium veröffentlichten Bericht missachten Beamte routinemäßig die verfassungsmäßigen Rechte der schwarzen Bürger. Außerdem setzen sie übermäßige Gewalt gegen sie ein und werden in den meisten Fällen nicht dafür belangt.
Nach den Aussagen einer hohen Beamtin des Justizministeriums schikanierten die Polizisten auf verfassungswidrige Weise nicht nur Tausende ihrer schwarzen Mitbürger durch das berüchtigte »Stop & Frisk« (»Anhalten und Filzen«), sondern sie verprügelten Leute auch und bestraften Demonstranten dafür, dass sie ihre Grundrechte auf Versammlungs- und Meinungsfreiheit wahrnahmen. Sie verhafteten Leute unter falschen Anschuldigungen und, was noch schockierender ist, sie zwangen Festgenommene, sich auf offener Straße nackt auszuziehen. Damit missachteten sie auf eklatante Weise deren verbriefte Grundrechte, die im 4. Zusatz zur US-Verfassung niedergelegt sind und jeden Bürger bei Durchsuchungen und Beschlagnahmen vor staatlichen Übergriffen schützen sollen.
All das geschah in Stadtteilen von Baltimore, deren Bewohner vorwiegend Schwarze sind und zu den unteren Einkommensklassen gehören. Und es geschah nicht gelegentlich, sondern über Jahre, gar Jahrzehnte. »Oh, Baltimore. Ain’t it hard just to live? Just to live«.
Baltimore ist eine Stadt, in der die schwarze Bevölkerung mit 64 Prozent die Mehrheit bildet. Die Bürgermeisterin ist eine Schwarze, die leitende Staatsanwältin ist ebenfalls eine Schwarze und bis vor kurzem war auch der Polizeichef ein Schwarzer. Macht das irgendeinen Unterschied? Nein, für die schwarze Bevölkerungsmehrheit hatte das keinerlei Bedeutung. Schwarze Politikerinnen und Politiker steckten ihre Köpfe in den Sand, während die Menschen, von denen sie gewählt wurden und die sie angeblich im Stadtparlament vertreten, fortdauernden Schikanen, Demütigungen, Gewalt und Terror ausgesetzt sind. Erst als nach dem Polizeimord an dem Schwarzen Freddie Gray der Protest auf die Straße getragen wurde und Autos brannten, veränderte sich die Situation und der massenhafte Bruch der Verfassung durch die Polizei in Baltimore kam endlich ans Licht. Jedoch sollte niemand vergessen, dass solche Zustände nicht nur in Baltimore herrschen.

Übersetzung: Jürgen Heiser


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[1] https://www.jungewelt.de/2016/08-22/027.php

Ausdruck von: http://freedom-now.de/news/artikel1435.html
Stand: 28.03.2024 um 10:14:52 Uhr