Mumia Abu-Jamal * Link zum Artikel in junge Welt Nr. 102 vom 2. Mai 2016: Bitte HIER klicken![1]
Balsam nur für Reiche
Der große schwarze Bürgerrechtsaktivist und Künstler Paul Robeson (1898–1976) trug 1958 in der New Yorker Carnegie Hall den Gospelsong »There Is a Balm in Gilead« vor. Mit den Zeilen »There is a balm in Gilead, to make the wounded whole« (Es gibt einen Balsam in Gilead, mit dem Verletzte geheilt werden, jW) erfüllte er den Saal mit seiner wundervollen Baritonstimme und gab die alttestamentarische Verheißung von der Erlösung durch den Messias wieder. Aus dem Land Gilead, das einst östlich des Jordan zwischen dem Fluss Jarmuk an der Grenze zu Damaskus und dem Fluss Nahr ez-Zarqa existierte, kam nach dem traditionellen afroamerikanischen Song der »Balsam«, »der die Verwundeten, die Kranken heilt«. Nach Überlieferung der Bibel war der »Balsam von Gilead« ein seltener pflanzlicher Stoff, der zur Behandlung eingesetzt wurde und aus der Region stammte.
Mehr als ein halbes Jahrhundert nach dem Konzert bekam der alte Gospelsong für Kranke der Gegenwart eine ganz andere Bedeutung, als nämlich die Nachricht um die Welt ging, der kalifornische Pharmakonzern Gilead Sciences Inc. habe die Patentrechte an dem medizinischen Wirkstoff Sofosbuvir gekauft. Bald darauf verdreifachte der Konzern den Wiederverkaufspreis des daraus hergestellten Medikaments, das für eine wachsende Zahl an einer Hepatitis-C-Infektion erkrankter Menschen Heilung verheißt.
Hepatitis-C-Viren bewirken eine Entzündung der Leber, die zu einem schweren Leiden und schließlich zum Tod führen kann, wenn sie nicht behandelt wird. Der Wirkstoff Sofosbuvir, der unter den Namen »Harvoni« und »Sovaldi« in Tablettenform verkauft wird, bringt mehr als nur eine lindernde Behandlung. Er führt nachweislich in 95 Prozent der Fälle zu einem vollständigen Heilungserfolg. Durch die von Gilead Sciences Inc. vollzogene Preiserhöhung kostet heute eine einzige Pille 1.000 US-Dollar (878 Euro), eine volle Heilbehandlung demnach rund 100.000 US-Dollar (87.800 Euro).
»Is there a balm in Gilead?« wie Paul Robeson so verheißungsvoll sang? Gibt es also eine heilende Medizin bei Gilead? Klar, es gibt sie. Aber nur wenige können sie sich leisten. Und wer sie sich nicht leisten kann, der muss sterben.
Übersetzung: Jürgen Heiser
In den USA und vielen anderen Ländern fanden vor dem 62. Geburtstag des politischen Gefangenen und jW-Kolumnisten Mumia Abu-Jamal am 24. April Solidaritätsaktionen für ihn und rund tausend weitere Gefangene statt, die derzeit eine Klage gegen die Gefängnisbehörde von Pennsylvania anstrengen. Sie wollen damit durchsetzen, dass Häftlinge mit Hepatitis-C-Infektion, von denen es allein in den Haftanstalten dieses US-Bundesstaats etwa 10.000 gibt, umgehend mit dem vom Gilead-Konzern verkauften Medikament behandelt werden. Bislang lehnen die Behörden von Pennsylvania und die aller anderen US-Bundesstaaten diese Behandlung ab, weil sie ihnen zu teuer ist.
Am 22. April hielten Unterstützer eine Kundgebung vor dem Rathaus von Philadelphia ab und zogen dann zum örtlichen Büro des Gouverneurs Thomas Wolf. Dieser hatte ein Gespräch mit Delegierten der Protestierenden und die Entgegennahme einer von Zehntausenden unterschriebenen Petition abgelehnt. So kam es, dass sie lediglich der Büroleiterin Jalila Parker einen offenen Brief überreichten, der Wolf dazu auffordert, sich dafür einzusetzen, dass Abu-Jamal und alle anderen betroffenen Gefangenen sowie etwa 50.000 vorwiegend schwarze Bürger von Philadelphia, die ebenfalls an Hepatitis C erkrankt sind, die heute mögliche medizinische Heilbehandlung erhalten. (jh)