Mumia Abu-Jamal * Link zum Artikel in junge Welt Nr. 96 vom 25. April 2016: Bitte HIER klicken![1]
Eine willkommene Lüge
In der Rechtstheorie der Vereinigten Staaten von Amerika existiert das Bild der »Früchte des vergifteten Baumes« (»Fruit of the poisonous tree«). Diese Metapher verwendete Richter Felix Frankfurter 1939 in einer Grundsatzentscheidung des Obersten Gerichtshofs der USA, die das Verbot begründete, unrechtmäßig erworbene Beweise vor Gericht zu verwerten. Das bedeutet, dass eine ohne Rechtsgrundlage durchgeführte Hausdurchsuchung, Verhaftung oder Vernehmung alles unbrauchbar macht, was daraus an Beweisen hervorgeht. Folglich darf nichts davon bei der Strafverfolgung verwendet werden.
Wenn dem so ist, wie ist dann der von mehreren US-Regierungen geführte, aber gescheiterte »Krieg gegen Drogen« zu bewerten? Hat dieser Krieg nicht auch »Früchte vergiftet«, weil er auf Lügen einer Politik basierte, die damit staatliche Angriffe gegen radikale Kräfte in der Gesellschaft rechtfertigte? John Ehrlichman, hochrangiger Mitarbeiter im Stab des Weißen Hauses unter dem früheren US-Präsidenten Richard M. Nixon, hatte enthüllt, dass die Drogenkriminalität in den 1960/70er Jahren als Vorwand benutzt wurde, um Schwarze und Hippies polizeilich verfolgen zu können. Daraus müsste eigentlich folgen, dass auch alle Früchte, die an dieser faulig stinkenden Pflanze reiften, zu verdorbenen Früchten erklärt werden. Schließlich hat dieser schmutzigste aller von Richard »Dick« Nixon ersonnenen schmutzigen Tricks in den letzten Jahrzehnten das explosionsartige Anwachsen des US-Gefängnissystems und damit die Zerrüttung unzähliger Familien bewirkt.
Der »Krieg gegen Drogen« ist nichts als eine Lüge, die aus einer Lüge entstand und vom Staat dazu benutzt wurde, revolutionäre Organisationen der Schwarzen und die gegen den Vietnamkrieg kämpfende Jugendbewegung der damaligen Zeit zu unterdrücken, zu schikanieren, zu zerschlagen und zu vernichten.
Kürzlich ließ die Anstaltsleitung hier im Gefängnis Gefangene, die in einer Schlange darauf warteten, zum Hofgang hinausgelassen zu werden, auf Drogen kontrollieren. Dieser Vorgang war so absurd wie aufschlussreich, denn wenn es Drogen in den Gefängnissen gibt, dann liegt das in der Regel eher daran, dass sie von Knastbediensteten hineingeschmuggelt wurden, als daran, dass es einer der Häftlinge geschafft hat. Aber wo werden schon Drogenkontrollen bei Schließern durchgeführt?
Der vorgebliche »Krieg gegen Drogen« hat wie alle Kriege mehr Zerstörungen angerichtet als Probleme gelöst, und er hat alles korrumpiert und vergiftet, womit er in Berührung gekommen ist. Polizisten wurden korrupt, schlugen Profit aus beschlagnahmten Drogen und wurden selbst zu Drogenhändlern. Dieser Krieg zerschredderte den vierten Zusatzartikel zur US-Verfassung, der jeden US-Bürger vor staatlichen Übergriffen schützen soll, und er hat das geistige Klima der Gerichte korrumpiert, die bereitwillig die Verfassung ignorieren, um den angeblich gegen Drogen geführten Krieg voranzubringen.
Der »Krieg gegen Drogen« macht bis heute aus schwarzen und hispanischen Jugendlichen Verdächtige auf Lebenszeit und unterwirft sie der Willkür repressiver Durchsuchungen und Verhaftungen. Und bis heute heizt dieser Krieg den Boom der Gefängnisindustrie an. Ein vorgetäuschter Krieg? Ja! Aber einer, der in seinen Auswirkungen sehr real über Leben und Tod von Menschen entscheidet.
Übersetzung: Jürgen Heiser