Kolumne # 792 vom 22.02.2016: Freimütig und ultrakonservativ

22.02.16 (von maj) Der verstorbene oberste Richter Antonin Scalia wusste, wofür er stand, und trug stets das Banner des Ultrakonservatismus vor sich her

Mumia Abu-Jamal * Link zum Artikel in junge Welt Nr. 44 vom 22. Februar 2016: Bitte HIER klicken![1]

Freimütig und ultrakonservativ
Richter Antonin Scalia vom Obersten Gerichtshof der USA, der für seinen Sarkasmus und seine traditionellen Ansichten bekannt war, verstarb am 13. Februar. Der Jurist, den der frühere US-Präsident Ronald Reagan 1986 zum beigeordneten Richter an den Supreme Court berufen hatte, hätte im kommenden September sein dreißigstes Amtsjahr vollendet. Er war zweifellos der intellektuell begabteste unter seinen Kollegen. Es muss jedoch auch erwähnt werden, dass er seinen Scharfsinn nicht in den Dienst der Mehrheit, sondern in den der Minderheit der Gesellschaft gestellt hat.
2005 veröffentlichte der Juraprofessor Cass R. Sunstein sein Buch »Radicals in Robes – Why Extreme Right-Wing Courts Are Wrong for America« (»Radikale in Roben – Warum extrem rechte Gerichte den USA schaden«). Darin kritisiert er sowohl Scalia als auch dessen engsten Richterkollegen Clarence Thomas für ihre »Original Intent«-Theorie. Ganz allgemein besagt dieser von der »ursprünglichen Absicht« ausgehende Ansatz, dass alles, was nicht ausdrücklich in der ursprünglichen US-Verfassung niedergelegt ist, kein legitimes Recht sein kann.
Sunstein nennt beide Richter »unaufrichtige Fundamentalisten«. Vor allem begründet er dies mit deren Widerstand gegen die »Affirmative Action« genannten gesetzlichen Fördermaßnahmen für benachteiligte Gruppen, die sie mit der Begründung ablehnten, dass der Staat die ethnische Herkunft nicht in Betracht ziehen dürfe. Als Gegenargument führt Sunstein an, der 13. Zusatzartikel zur US-Verfassung (der die Sklaverei abschaffte; jW) drehe sich doch explizit um die Frage der ethnischen Herkunft. Und der US-Kongress habe in der Phase der Rekonstruktion nach dem Amerikanischen Bürgerkrieg bewusst Einrichtungen wie das »Freedmen’s Bureau« als Hilfsorganisation für befreite schwarze Sklaven geschaffen. Eben weil beide Richter diese historischen Fakten ignorierten, nennt Sunstein ihr Handeln unaufrichtig.
Der Journalist Christopher L. Hedges bezeichnet Scalia in seinem Werk »American Fascists: The Christian Right and the War on America« (»Amerikanische Faschisten: Die christliche Rechte und der Krieg gegen die USA«) als »dominionistischen Juristen«. Als Anhänger dieser Doktrin, wonach Christen einen heiligen Auftrag hätten, einflussreiche Machtpositionen in Staat und Gesellschaft einzunehmen, habe Scalia Fälle von einem eher religiösen und nicht von einem juristischen Standpunkt aus beurteilt.
Dadurch verlor Scalia vielleicht seine engste Verbündete im Obersten Gerichtshof, als er 1992 in der Grundsatzentscheidung im Verfahren ­»Planned Parenthood gegen Casey« seine damalige Richterkollegin Sandra Day O’Connor kritisierte, weil sie dafür war, Abtreibungen weiter zuzulassen. O’Connor, von 1981 bis 2006 erste Richterin am Obersten Gerichtshof, gefiel Scalias Angriff auf ihre richterliche Integrität überhaupt nicht. Wohl deshalb wandte sie sich in der Folgezeit mehr dem liberalen Flügel des Gerichts zu und sorgte oftmals in Streitfällen, die Frauenthemen oder die Strafjustiz betrafen, als fünfte Stimme für liberale Mehrheitsentscheidungen gegenüber Scalias konservativem Flügel.
Scalia war in seiner geistreichen und rechthaberischen Art, mit der er freimütig jedem ins Gesicht sagte, was er dachte, sicher kein Langweiler. Er wusste, wofür er stand, und trug stets das Banner des Ultrakonservatismus vor sich her.

Übersetzung: Jürgen Heiser


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[1] https://www.jungewelt.de/2016/02-22/028.php

Ausdruck von: http://freedom-now.de/news/artikel1370.html
Stand: 28.03.2024 um 10:09:18 Uhr