Kolumne # 789 vom 1.02.2016: Über Verbrechen

01.02.16 (von maj) Wasser, das so kontaminiert ist, dass es Metalle angreifen und auflösen kann, wurde für gut genug befunden, die Bevölkerung einer modernen US-Stadt damit zu versorgen und sie in der Konsequenz aus Profitgründen zu vergiften

Mumia Abu-Jamal * Link zum Artikel in junge Welt Nr. 26 vom 1. Februar 2016: Bitte HIER klicken![1]

Über Verbrechen
Seitdem Menschen in Gemeinschaft lebten, errichteten sie ihre Siedlungen an den Ufern von Flüssen, weil Wasser, frisches Wasser, ein Quell des Lebens ist. So entstand die Stadt Kairo, deren Ursprung ein Militärlager namens Al-Fustat (arabisch für »das Zelt«) war, an den Ufern des Nil. London, von den Römern als Londinium gegründet, wurde an den Ufern der Themse erbaut. Paris, aus der keltischen Siedlung Lutetia des Stammes der Parisii entstanden, wuchs an den Ufern der Seine zur Hauptstadt Frankreichs heran. Und die Stadt Rom entwickelte sich an den Ufern des Tiber zum Römischen Reich.
Die Stadt Flint im US-Bundesstaat Michigan wurde nach dem Flint River benannt, dem wiederum die »Flint Stones«, dunkle Kieselsteine in seinem Flussbett, den Namen gaben. Jahrzehntelang pumpte General Motors (GM) das Wasser für seine Produktion aus dem Fluss und leitete seine chemischen Abwässer hinein, bis der Flint River nur noch eine ätzende, giftige Brühe führte. Als das Wasser so säurehaltig wurde, dass es Autoteile angriff, schloss GM seine Produktionsstätten in Flint und verlagerte sie ins Ausland.
Zurück blieb der Fluss mit seinem verseuchten Wasser, das die Offiziellen in Michigan im Wege einer von Gouverneur Rick Snyder erlassenen »Notstandsermächtigung« seit 2014 als Trinkwasser in die Haushalte der Einwohner von Flint leiteten. Auf diese Weise wollten sie Geld sparen, das sie sonst an die kostenintensivere überregionale Wasserwirtschaft hätten zahlen müssen. Wasser, das so kontaminiert ist, dass es Metalle angreifen und auflösen kann, wurde für gut genug befunden, die Bevölkerung einer modernen US-Stadt damit zu versorgen und sie in der Konsequenz aus Profitgründen zu vergiften!
Warum sieht darin niemand ein Verbrechen? Warum war es schon kein Verbrechen, den Fluss vor Jahren mit Chemikalien zu vergiften? Aus dem gleichen Grund, warum es auch heute kein Verbrechen sein soll, im Interesse des Profits von Unternehmen und Staatskasse anzuordnen, Hirne, Organe und Knochen Tausender Einwohner von Flint mit Gift zu schädigen, darunter viele Kinder, die ihr Leben lang an den Folgen zu leiden haben werden. Jetzt empfehlen sogar die Quatschköpfe der Medien, Schadenersatzklagen gegen die Verursacher einzureichen. Wieder geht es nur ums Geld, das niemandem Heilung bringen wird.
Wann sind Verbrechen keine Verbrechen? Wenn Konzerne oder Regierungen sie begehen. Auf der Basis von Lügen, Ignoranz und Arroganz schickte die US-Regierung ihre Truppen in den Irak, beging Völkermord und zerstörte eine der ältesten Zivilisationen der Welt. Irakis wurden in Folterhöllen der US-Geheimdienste geworfen, und als das aufflog, zog die US-Justiz dafür nur ein paar Wärter der untersten Ränge zur Rechenschaft. Die USA errichteten ein Folterlager in einer illegal auf kubanischem Boden fortbestehenden US-Militärbasis, wo die US-Verfassung außer Kraft gesetzt ist, und nennen das, was dort den Gefangenen widerfährt, »Gerechtigkeit«. Kein Scherz: Eine Abteilung des Militärgefängnisses Gunatanamo Bay trägt sogar den Namen »Camp Justice« – »Lager Gerechtigkeit«!
In einer kapitalistischen Gesellschaft wie den USA zählt nur das Kapital. Alles dreht sich um die »Benjamins« (100-Dollar-Scheine mit dem Konterfei Benjamin Franklins; jW), Kohle kommt vor der körperlichen Gesundheit von Menschen. Es zählt der Profit. Punkt.
In den Gefängnissen Michigans gibt es nicht einen einzigen Häftling, der ein abscheulicheres Verbrechen begangen hat als der Gouverneur dieses Bundesstaates. Die Straftaten der Gefangenen, was auch immer sie angestellt haben mögen, sind harmloser Kleinkram im Vergleich zu dem großangelegten Verbrechen, das die Regierung Michigans an Tausenden beging, um ein paar Dollar zu sparen. Was in Flint geschieht, ist ein Verbrechen der Mächtigen. Aber das zählt nicht, weil es ein Verbrechen des Kapitalismus ist.

Übersetzung: Jürgen Heiser


Links im Artikel: 1
[1] https://www.jungewelt.de/2016/02-01/027.php

Ausdruck von: http://freedom-now.de/news/artikel1359.html
Stand: 23.11.2024 um 15:38:28 Uhr