Link zum Artikel in junge Welt Nr. 22 vom 27. Januar 2016: Bitte HIER klicken![1]
Sparen durch Vergiften
In den USA ist in einer weiteren Gemeinde verseuchtes Trinkwasser festgestellt worden. Wie die Nachrichtenagentur AFP am Dienstag meldete, blieben alle Schulen der Ortschaft Sebring im Bundesstaat Ohio auf Anordnung der dortigen Umweltschutzbehörde am Montag geschlossen. Zuvor hatten Untersuchungen erhöhte Bleiwerte offengelegt. Die Behörde warf der Gemeindeverwaltung vor, die Gefahr lange verschwiegen zu haben. Ein ähnlicher Skandal war zuvor bereits in Flint im Bundesstaat Michigan bekanntgeworden.
Die Verwaltung der früheren Automobilstadt hatte Geld sparen wollen und deshalb im Jahr 2014 ihre Wasserversorgung vom teuren überregionalen Trinkwassernetz auf Selbstversorgung aus dem Flint River umgestellt. Doch das mit Industrieabfällen kontaminierte Flusswasser machte viele Einwohner krank. Verbreitet kam es zu Haarausfall und Hautausschlägen, und bei Kindern wurden erhöhte Bleiwerte im Blut festgestellt, so dass US-Präsident Barack Obama jetzt den Notstand für die Region ausrief. Wenn Flint eine reiche und mehrheitlich von Weißen bewohnte Stadt wäre, so fragte die New York Times (NYT) am vergangenen Donnerstag, »hätte Michigans Staatsregierung dann wohl schneller und offensiver auf die Beschwerden über das bleiverseuchte Wasser der Stadt reagiert?« Da die viertgrößte Stadt Michigans mit ihren rund 100.000 Einwohnern mehrheitlich von Schwarzen bewohnt ist, vermutete die NYT, in Flint sei »Umweltrassismus« am Werk.
Am vergangenen Donnerstag musste die für Michigan zuständige Leiterin der regionalen Umweltschutzbehörde in Chicago, Susan Hedman, von ihrem Posten zurücktreten. US-Präsident Barack Obama verkündete, die bislang bewilligten fünf Millionen US-Dollar Soforthilfe umgehend aufzustocken. Laut Detroit News erklärte der Präsident dazu im Weißen Haus vor US-Bürgermeistern, die Mittel zur Verbesserung der Wasserversorgung notleidender Gemeinden würden Ende dieser Woche verfügbar sein, »einschließlich weiterer 80 Millionen für den Staat Michigan«. »Unsere Kinder sollten sich keine Sorgen machen müssen über das Wasser, das sie trinken«, so Obama, die Zustände in Flint bezeichnete er als »unentschuldbar«. Bürgermeisterin Karen Weaver begrüßte Obamas Hilfszusage, fragte sich aber, »wie viel von den 80 Millionen US-Dollar am Ende der Stadt Flint zugeteilt werden und was davon sonstwohin geht«.
Kritiker bemängeln, die Krise sei durch einen monatelangen Behördenstreit über die Ursachen der Wasserverseuchung und ständiges Weiterschieben der Verantwortung von Amt zu Amt verschlimmert worden. Erst als die Proteste der Bevölkerung gegen ihre Vergiftung mit dem trüben und stinkenden Flusswasser zunahmen und Prominente wie der in Flint geborene Filmemacher Michael Moore Petitionen veröffentlichten, die in kurzer Zeit massenhaft unterzeichnet wurden, sahen sich Verantwortliche wie Gouverneur Rick Snyder zum Handeln gezwungen. Anstelle des ungenießbaren Flusswassers wurde eine notdürftige Grundversorgung mit Trinkwasser aus Plastikflaschen in Gang gesetzt, für die jetzt sogar Einheiten der Nationalgarde eingesetzt werden.
Flints Umweltprobleme stammen noch aus der Zeit, als die Stadt »Vehicle City« genannt wurde und Automobilhersteller ihr zu einigem Wohlstand verhalfen. General Motors (GM) unterhielt dort seine größte Produktionsstätte. Doch in den 1980er- und 1990er-Jahren führte die Verlegung wesentlicher Bereiche der GM-Produktion und weiterer Automobilfabriken ins Ausland und der daraus folgende Zusammenbruch der Zuliefererindustrie zu einem sprunghaften Anstieg der Arbeitslosigkeit. Ein Drittel der Bevölkerung Flints lebt heute in Armut, 40 Prozent davon sind unter 18 Jahre alt. Der wirtschaftliche Niedergang der Stadt wird heute allein schon durch den überall sichtbaren Leerstand von Wohnraum und Läden dokumentiert. Für seine Entscheidung von April 2014, den drohenden Finanzkollaps des Ortes durch Einsparungen bei der Wasserversorgung aufhalten zu wollen, musste Gouverneur Snyder nun öffentlich um Entschuldigung bitten. Damit ist der als »Liebling der Tea-Party-Bewegung« bekannte Republikaner jedoch nicht aus der Kritik. Wie die Mehrheit der schwarzen Einwohner sieht auch der demokratische Abgeordnete Dan Kildee laut NYT bezüglich der bisherigen Tatenlosigkeit der Behörden Rassismus »als das wesentlich bestimmende Moment« an.