Kolumne # 781 vom 7.12.2015: Barbarischer Mord

07.12.15 (von maj) Jede Stadt, die es schafft, einen Mörder wie den des Teenagers Laquan McDonald ein Jahr lang in der Versenkung verschwinden zu lassen, wird es letztlich auch schaffen, einen Freispruch hinzubiegen

Mumia Abu-Jamal * Link zum Artikel in junge Welt Nr. 283 vom 7. Dezember 2015: Bitte HIER klicken![1]

Barbarischer Mord
Wenn jemand den Vornamen Laquan trägt, können wir annehmen, dass er ein Schwarzer ist. Laquan war jemand von mittlerer Körpergröße, vielleicht 1,60 Meter, und rund 60 Kilo schwer. In der Innenstadt von Chicago tänzelt Laquan mit der typischen Unbekümmertheit eines Teenagers eine Allee entlang. Es sieht eher so aus, als würde er hüpfen und nicht rennen. In seiner rechten Hand hält er ein Taschenmesser mit einer kurzen Klinge. Wenn man ihn so sieht, kann man geradezu den Kick spüren, den das jugendliche Testosteron in seiner Blutbahn auslöst. Ein Quell der Kraft, der ihm das sichere Gefühl gibt, dass er unbesiegbar ist, dass er Mauern einreißen und Berge versetzen kann.
Dann ist ohne jede Vorwarnung ein Schuss zu hören, und Laquan dreht sich plötzlich um seine eigene Achse und stürzt zu Boden. Ein nie gekannter Schmerz durchzieht seinen Körper, lähmt ihn, und er krümmt sich zusammen wie ein Fötus im Mutterleib. Die Kälte des Asphalts kriecht in ihn. Dann treffen im Rhythmus von Herzschlägen weitere tödliche Projektile aus einer Polizeiwaffe seinen schmerzenden Körper, und der 17jährige Laquan McDonald ist nicht mehr.
Er ist einer der letzten schwarzen Toten, die von einem weißen Klansmann in Uniform ins Reich des Vergessens hineingeschleudert wurde. Sein bis vor kurzem unbekannter Name verlängert nun die Reihe der Ermordeten: Tamir Rice, Mike Brown, Donald »Dontay« Ivy, Eric Garner, Oscar Grant, Freddie Gray und die vielen anderen, die allesamt Opfer eines der ältesten Klagelieder des amerikanischen Kontinents wurden – der »Furcht der Weißen vor dem schwarzen Mann«.
Wegen einer knapp sieben Zentimeter langen Klinge eines Taschenmessers – das, nebenbei bemerkt, jeder völlig legal bei sich haben darf – werden 16 tödliche Projektile in den Leib eines Teenagers gejagt! Und dann hört man ein Jahr lang nichts mehr über den Vorfall, bis ein freischaffender Journalist es schafft, auf der Basis des »Freedom of Information Act« Klage gegen die Stadt Chicago zu führen und zu gewinnen, so dass sie das Polizeivideo über den barbarischen Tod des Jugendlichen veröffentlichen muss. Die Kamera in einem der Streifenwagen hat genau festgehalten, wie der ausgelassene Junge in seinen Tod hüpft.
Danach wurde der weiße Todesschütze Jason Van Dyke tatsächlich verhaftet und angeklagt, aber niemand sollte überrascht sein, wenn er am Ende freigesprochen wird. Jede Stadt, die es schafft, einen Mörder wie ihn ein Jahr lang in der Versenkung verschwinden zu lassen, wird es letztlich auch schaffen, einen Freispruch hinzubiegen.

Übersetzung: Jürgen Heiser


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[1] https://www.jungewelt.de/2015/12-07/028.php

Ausdruck von: http://freedom-now.de/news/artikel1334.html
Stand: 23.11.2024 um 15:27:05 Uhr