Link zum Artikel in junge Welt Nr. 177 vom 3. August 2015: Bitte HIER klicken![1]
Zeit, etwas zu ändern
In jedem gescheiterten sozialen Experiment kommt der Punkt, an dem nichts Positives mehr erreicht werden kann. Diese traurige Wahrheit muss endlich auch in bezug auf das ungeheuer große, außerordentlich teure und spektakulär ineffektive Gefängnissystem der USA anerkannt werden. Es ist höchste Zeit, dieses System zu verändern.
In den vergangenen 30 Jahren haben alle US-Bundesstaaten und die Regierung in Washington D.C. sich das Motto der »harten Hand gegen Häftlinge« zu eigen gemacht. Niemand kann bestreiten, dass das Leben für Gefangene härter geworden ist, seit die Haft nur noch zur reinen Bestrafung vollstreckt wird. Besuche werden seitdem restriktiver gehandhabt, Übernachtungsbesuche zur Pflege familiärer Bande gibt es praktisch nicht mehr. Bildungsprogramme wurden drastisch reduziert, der Zugang zur Hochschulbildung ist schon lange passé. Der Besitz persönlicher Habe auf der Zelle ist stark eingeschränkt. Fast alle Gefangenen sind nun gezwungen, demütigende Kleidung in Form der widerlich-orangefarbenen Overalls zu tragen und sich damit das Kainsmal der Schande aufdrücken zu lassen. Zu allem Überfluss ist die Atmosphäre in den Gefängnissen und die Haltung des Bewachungspersonals gegenüber Häftlingen in offene Feindseligkeit umgeschlagen. Wärter sehen ihre Rolle darin, tagtäglich die Rache der Gesellschaft an den Delinquenten zu vollstrecken, und sie haben diese Rolle mit Begeisterung angenommen.
Politiker beuten Kummer und Wut der Opfer von Straftaten aus und bauen ihre Karriere darauf auf, immer härtere Strafen zu fordern und Gefangene als Unmenschen zu ächten. Mittlerweile gibt es Zehntausende Männer und Frauen, die wegen gewaltloser Bagatelldelikte zu lebenslanger Haft verurteilt wurden, und Hunderttausende kehren wegen einfachen Drogenbesitzes immer wieder in den Teufelskreis des Strafjustizsystems zurück.
Landesweit verschlingt das Gefängnissystem jährlich bis zu 110 Milliarden US-Dollar. Die Inhaftierungsrate von 509 Personen je 100.000 Einwohner liegt um ein Vielfaches höher als die anderer Industrieländer. Die Rate eingesperrter junger Schwarzer ist in den USA heute höher als jene in den finstersten Zeiten des südafrikanischen Apartheidregimes. Wir machen nur vier Prozent der Weltbevölkerung aus, halten aber 25 Prozent aller Gefangenen der Welt hinter Gittern. Doch trotz des Milliardenetats und der Masseninhaftierungen unserer Mitbürger ist die Kriminalitätsrate in den USA nicht geringer als die anderer Industrienationen.
Es ist deshalb definitiv an der Zeit, den Krieg gegen die Gefangenen zu beenden, weil er nicht nur ein Angriff auf den gesunden Menschenverstand ist, sondern auch nicht zu den geringeren Rückfallraten geführt hat, die uns immer versprochen wurden. Im Gegenteil: Vor 30 Jahren lag die Rückfallrate noch bei 25 Prozent, bis heute ist sie auf über 70 Prozent angestiegen. Deshalb muss das Strafjustizsystem endlich befreit werden von Parteipolitik und jenen Scharfmachern, die mit der Drangsal von Verbrechensopfern ihr eigenes politisches Süppchen kochen. Die in den letzten drei Jahrzehnten forcierte Entwicklung der »harten Hand« hat den letzten Rest von Gerechtigkeit aus dem Gefängnissystem vertrieben. Es ist deshalb überfällig, die bankrotten Vorstellungen davon, härtere Bestrafung könne den Schmerz der Opfer lindern, endlich aufzugeben, bevor Recht und Gerechtigkeit auch noch aus dem Rest der Gesellschaft vertrieben werden.
Übersetzung: Jürgen Heiser
Kenneth E. Hartman ist seit 35 Jahren ununterbrochen in kalifornischen Gefängnissen ohne Aussicht auf vorzeitige Entlassung inhaftiert, weil er als 19jähriger in einer Schlägerei volltrunken einen Mann tödlich verletzte. Als Aktivist und Autor kämpft Hartman seit Jahrzehnten gegen lebenslange Haft ohne Bewährung. Wie Mumia Abu-Jamal bewertet er sie als eine andere Art der Todesstrafe und plädiert für die Abschaffung beider Strafmaße.
Info: http://kennethehartman.com/[2]