Kolumne für Mumia Abu-Jamal * Link zum Artikel in junge Welt Nr. 108 vom 11. Mai 2015: Bitte HIER klicken![1]
Von Angela zu Mumia
Vor 43 Jahren – Ende April 1972 – mußte ich nach achtwöchiger Beobachtung des Prozesses gegen Angela Davis den Gerichtssaal in der kalifornischen Großstadt San José – einen Monat vor dem Freispruch der afroamerikanischen Marxistin und Bürgerrechtskämpferin – wider Willen verlassen. Meine Aufenthaltserlaubnis war abgelaufen. Als erster Journalist aus der DDR hatte ich nach neunmonatiger Wartezeit sowie mehreren »Verhören« durch Konsul, Generalkonsul und Mitarbeiter der »Sektion Ostfragen« der Westberliner USA-Mission ein Visum zur Berichterstattung über ein politisches Ereignis in den Vereinigten Staaten erhalten. Ich vertrat das damals bei allen Defiziten sozialistische und in einer Auflage von 1,3 Millionen Exemplaren erscheinende Neue Deutschland.
Bei dem an den Haaren herbeigezogenen Schauprozess hatte der stellvertretende kalifornische Generalstaatsanwalt Albert W. Harris ursprünglich Angelas Tod in der Gaskammer des Hinrichtungszuchthauses San Quentin angestrebt. Tag für Tag erlebte ich während der Verhandlungen den Ungeist des in den USA tief verwurzelten Rassismus gegen Afroamerikaner und Latinos. Doch Angela kämpfte wie eine Löwin für die Wahrheit, und ihre Verteidiger verstanden es, das Lügengeflecht der Anklage so wirksam zu zerreißen, dass die vor Gericht gezerrte Kommunistin am Ende von allen zwölf Geschworenen freigesprochen und in die Arme geschlossen wurde.
Als man mir nach zwei Prozessmonaten eine Visaverlängerung verweigerte, gab ich im überfüllten Kellerraum des Justiz- und Polizeikomplexes von San José eine improvisierte Pressekonferenz. Meine ersten Worte wurden von vielen amerikanischen Sendern und Zeitungen kolportiert: »Die Tatsache, daß der einzige ständige Berichterstatter aus den sozialistischen Ländern von den Behörden der USA de facto ausgewiesen wird, zeugt davon, dass die Staatsanwaltschaft diesen Fall nicht nur verlieren wird, sondern dass es überhaupt keinen ›Fall‹ Angela Davis gibt.«
Und damit bin ich bei Mumia – dem brillanten afroamerikanischen Journalistenkollegen und leidenschaftlichen Kämpfer für gemeinsame Ziele. Wer hautnah die Rettung von Angela erlebt hat, kann nicht abseits stehen, wenn es darum geht, einen schuldlosen Mann, der seit fast dreieinhalb Jahrzehnten von den angeblichen Menschenrechtsaposteln in den USA auf grausamste Weise gefoltert wird, von seinen Qualen zu erlösen.
Leider können wir heute nicht so schwere Geschütze auffahren wie zu DDR-Zeiten, als die Solidarität mit Angela Davis Sache der gesamten Bevölkerung und aller Medien war. Schon unmittelbar nach Angelas Festnahme in New York wurde ich vom Nationalrat der Nationalen Front darum gebeten, den Text für eine reich bebilderte, später auch in einer englischsprachigen Version in den USA verbreiteten Broschüre »Freiheit für Angela Davis« zu schreiben. Deren deutschsprachige Ausgabe erschien in 500.000 Exemplaren, die zum erschwinglichen Preis von zwei Mark der DDR sämtliche Städte und Dörfer, Schulen und Kindergärten, Betriebe, Einrichtungen und Kasernen erreichten. Die FDJ rief die Kinder und Jugendlichen der DDR dazu auf, Angela eine Million selbstgemalter Rosen in das Gefängnis zu schicken. Auch diese Aktion trug dazu bei, ihre Zellentür zu öffnen. Der sein Amt korrekt versehende kalifornische Richter Richard E. Arnason – er führte den Prozeß, nachdem die Verteidigung mehrere andere Vorsitzende abgelehnt hatte – berichtete später vor Reportern, dass ihn die enorme Zahl von Karten und Briefen an die Angeklagte keineswegs unbeeindruckt gelassen habe.
Den erfolgreichen Ausgang der weltweiten Schlacht für Angela Davis vor Augen wissen wir, welche Kraft bereits entwickelt werden konnte, um ein drohendes Fehlurteil abzuwenden und einen unschuldigen Menschen dem Kerker zu entreißen. Auch unter wesentlich ungünstigeren Bedingungen hat die internationale Solidarität bereits dazu beigetragen, Mumia vor dem Henker zu retten. Jetzt geht es darum, den Schwerkranken aus den Ketten seiner Peiniger zu erlösen und seine Freilassung zu erkämpfen. Als einer der Organisatoren der Angela-Davis-Kampagne und Autor eines Buches über den Davis-Prozess unterstütze ich aus ganzem Herzen die Forderung: Retten wir Mumia Abu-Jamal!
Klaus Steiniger ist Diplomjurist und Chefredakteur des Rotfuchs