Mumia Abu-Jamal * Link zum Artikel in junge Welt Nr. 27 vom 2. Februar 2015: Bitte HIER klicken![1]
Flächenbrand im Nahen Osten
Es ärgert mich ohne Ende, die Behauptungen von »Experten« und Politikern zu hören, Soldaten zögen in den Krieg, um »die Freiheit zu verteidigen«, oder, noch schlimmer, um »für die Demokratie zu kämpfen«. Nichts könnte weiter von der Wahrheit entfernt sein als das. Diese Kriege machen vielmehr klar, dass alle imperialen Kriege von Rom bis heute aus Gründen der Machtsicherung und nicht der Moral geführt wurden. Nehmen wir den vom früheren US-Präsidenten George W. Bush als »Shock and Awe« (»Schrecken und Ehrfurcht«) angekündigten Krieg gegen die Republik Irak, der im März 2003 mit einer Bombenoffensive der US-Luftwaffe gegen Bagdad begonnen wurde. Ist eine militärische Schockstrategie zur Demoralisierung der Zivilbevölkerung nicht auch Terrorismus, nur mit einem anderen Namen? Wurden die Einwohner dieser altertümlichen Stadt nicht auch terrorisiert, bis sie vor Angst und Schrecken den Verstand verloren? Aber wenn ein Staat so handelt, dann nennt man das »Militärpolitik«. Wenn jedoch ein nichtstaatlicher Akteur genauso handelt, soll es auf einmal »Terrorismus« sein?
Durch die Kriege der Gegenwart hat sich dieser Terrorismus wie ein Virus über die ganze Region ausgebreitet und die Staaten des Nahen Ostens destabilisiert. Jedes der betroffenen Länder, egal ob klein oder groß, wurde von der Invasion und Besetzung durch die USA in seinen Grundfesten erschüttert. Das Festhalten der eingesetzten Regimes an der Macht hat diese Staaten in eine weitaus heiklere Lage gebracht, weil Macht und Gewalt keine Probleme lösen, sondern Feinde schaffen und so noch mehr Terroristen und Terrorismus hervorbringen.
Mit ihrem Überfall auf Irak haben die USA einen Krieg gegen ein Land begonnen, von dem sie selbst niemals angegriffen wurden. Dadurch haben sie Kräfte in Bewegung gesetzt, die ihrer Kontrolle entglitten, und einen Flächenbrand ausgelöst, dessen Flammen bis heute lodern. In Bagdad und Kabul brachten gut gerüstete imperiale Armeen Chaos und Tod über Tausende und Abertausende unschuldige Zivilisten. Sie handelten dabei in völliger Unkenntnis der Geschichte, Sprache und Kultur der dort lebenden Völker. Was ein halbes Jahrhundert zuvor in Vietnam gescheitert war, scheiterte nun auch in Irak und Afghanistan und hinterließ eine brodelnde, noch ungezielte Wut.
Das brutale Vorgehen der US-Soldateska gegen die Zivilbevölkerung der beiden Länder ließ ein taktisches Instrument der USA, das seit 1795 existiert, endgültig unannehmbar werden. (1795 trat der 11. Zusatzartikel zur US-Verfassung in Kraft, in dem die Immunität der USA gegen gerichtliche Klagen von Bürgern ausländischer Staaten bzw. die Immunität von US-Bundesstaaten gegen Klagen von Bürgern anderer US-Bundesstaaten zum Verfassungsgrundsatz erhoben wurde; jW). Und trotz der ungestraften Grausamkeit scheiterte dieser Feldzug auf ganzer Linie.
Im Inland führte das gesetzlich festgelegte starke Ungleichgewicht zwischen staatlicher Macht und der Macht des einzelnen Bürgers in den vergangenen Monaten in vielen US-Städten zu Protesten gegen die Polizeigewalt der heimischen Soldateska in blauen Uniformen, weil auch deren Angehörige völlig straflos Zivilisten schikanieren, erniedrigen, verprügeln und töten können. Ich wundere mich immer wieder, wenn ich davon höre, dass wieder einmal ein neues Präventionsprogramm gegen Gewalt und Mobbing an Schulen initiiert wird. Warum? Nun, wenn ein Kind von einem solchen Programm hört, wird es sich dann angesichts gewalttätiger Soldaten und Polizisten nicht fragen, warum Gewalt gegen Schwächere nur ein Problem an Schulen sein soll?
Übersetzung: Jürgen Heiser