Kolumne # 732 vom 29.12.2014: Instrument der Straffreiheit

29.12.14 (von maj) Grand Jurys sind heute in den USA Instrumente der Staatsanwaltschaften und werden wie zu Zeiten der englischen Könige dazu eingesetzt, um nach Gutdünken Menschen unter Anklage zu stellen – oder um Anklagen nach Gutdünken niederzuschlagen

Mumia Abu-Jamal * Link zum Artikel in junge Welt Nr. 296 vom 22. Dezember 2014: Bitte HIER klicken![1]

Instrument der Straffreiheit
Eric Garners Name hielt in diesem Jahr Einzug in die düsteren Annalen der Geschichte. Dort vereinte er sich mit Michael Brown, Ramarley Graham, Alan Blueford, Dontre Hamilton, Tamir Rice und Tausenden weiteren Opfern, die von jenen ermordet wurden, die aus ihren Steuergeldern finanziert werden: Polizisten.
In vielerlei Hinsicht ist Garners Tod noch ungeheuerlicher als der des von einem weißen Polizisten erschossenen Teenagers Michael Brown, weil er auf Video festgehalten wurde und man sehen kann, wie Garner von mehreren Polizisten niedergerissen wird – obwohl er keinerlei Gegenwehr leistet –, wie ihn der Beamte Daniel Pantaleo unablässig würgt und wie Garner schließlich bewusstlos wird und Minuten später stirbt. »Ich kriege keine Luft mehr« – die letzten Worte des 43jährigen Mannes, der von den Polizisten in Staten Island, New York, kontrolliert wurde, weil er angeblich unverzollte Zigaretten verkauft haben soll, wurden in den letzten Wochen zusammen mit »Hände hoch – nicht schießen!« von Abertausenden Menschen auf Demonstrationen in den USA skandiert, um an die von Polizisten ermordeten Eric Garner und Michael Brown zu erinnern.
Beide Fälle stehen auch für die Entscheidungen von Grand Jurys, die sich wegen ihrer Weigerung, Anklagen gegen die für die Morde verantwortlichen Polizisten zu erheben, als absolut unverantwortlich erwiesen haben. Grand Jurys sind ein Erbe des angelsächsischen Rechtssystems, das von England in die Kolonien der Neuen Welt exportiert wurde. In England wurden sie damals »Grand Assizes« (Schwurgerichte) genannt. Sie bestanden aus zwölf Rittern, die unter der Leitung eines Barons (oder eines anderen Adligen) Strafrechtsfälle untersuchten und Anklagen erhoben. Sie wurden zu einem Herrschaftsinstrument des Königs.
Heute sind sie Instrumente der Staatsanwaltschaften und werden wie zu Zeiten der Könige dazu eingesetzt, um nach Gutdünken Menschen unter Anklage zu stellen – oder um Anklagen nach Gutdünken niederzuschlagen. Die Empörung gegen die letzten Entscheidungen der Grand Jurys in den Fällen der ermordeten Garner und Brown rührt von der langen Vorgeschichte der Grand Jurys her, in denen sie Polizisten immer wieder vor Anklagen schützten – auch die berüchtigten »Killercops«. Im Gegensatz dazu sperrt diese Nation massenhaft Menschen in Gefängnisse, deren Anklagen mehrheitlich nicht von Grand Jurys überprüft wurden – ein Recht, das jedem Durchschnittspolizisten zugestanden wird.
Das System ist eben so aufgebaut, dass es seine Schergen vor strafrechtlicher Verfolgung schützt, egal wie scheußlich ihre Missetaten auch gewesen sein mögen. Das ist eine schlichte Tatsache. Und wenn die Nation jetzt historische Ereignisse der Bürgerrechtsbewegung feiert, die ein halbes Jahrhundert zurückliegen, dann lässt die düstere und hässliche Realität des heutigen Lebens und Sterbens von Schwarzen in den Vereinigten Staaten von Amerika diese leuchtenden Momente ihrer Geschichte nur noch als hohl erscheinen.

Übersetzung: Jürgen Heiser


Links im Artikel: 1
[1] https://www.jungewelt.de/2014/12-29/003.php?sstr=instrument|der|straffreiheit

Ausdruck von: http://freedom-now.de/news/artikel1191.html
Stand: 23.11.2024 um 14:35:09 Uhr